Istanbul. Millionen in Deutschland lebende Türken dürfen erstmals bei den anstehenden Wahlen in der Türkei abstimmen - Grund genug für einen Besuch des angeschlagenen Regierungschefs Erdogan. Deutsche Politiker warnen ihn vor ähnlichen markigen intergrationskritischen Reden wie in der Vergangenheit.

Vor dem Deutschlandbesuch des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan haben Politiker von Regierung und Opposition ein klares Bekenntnis zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit von dem AKP-Politiker gefordert. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) müsse den Besuch für klare Worte nutzen, hieß es am Montag aus den Reihen von SPD, CDU und Grünen. Erdogan bekräftigte im Vorfeld den Willen der Türkei zu einer EU-Bewerbung.

Mit Blick auf die gegen Erdogans Regierung erhobenen Korruptionsvorwürfe und die laufenden Ermittlungen forderte der SPD-Fraktionsvize Rolf Mützenich, dass Ankara rechtsstaaliche Standards einhalten müsse. Es sei "unvermeidlich", Erdogan "darauf hinzuweisen, dass sein Vorgehen gegen ermittelnde Beamte in den verschiedenen Korruptionsverfahren weder akzeptabel noch mit rechtsstaatlichen Standards vereinbar ist".

Erdogans Regierung sieht sich derzeit mit einem riesigen Skandal konfrontiert. Istanbuler Staatsanwälte hatten am 17. Dezember dutzende Verdächtige festnehmen lassen, darunter die Söhne von Ministern. Bei dem Skandal geht es unter anderem um die Bestechung von Politikern.

Erdogan glaubt an eine Verschwörung

Erdogan betrachtet die Ermittlungen als Verschwörung regierungsfeindlicher Kräfte mit dem Ziel, der AKP vor den Kommunalwahlen Ende März zu schaden. Seine Regierung ließ im Zuge des Skandals tausende Polizisten und Justizmitarbeiter versetzen. Kritiker befürchten, dass die Korruptionsermittlungen gegen Führungseliten in Politik und Wirtschaft damit gestoppt werden sollen.

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Die Themen Rechtsstaatlichkeit, Justiz und Menschenrechte sollen nach dem Willen von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) in den EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara eine konkretere Rolle spielen. Die Verhandlungskapitel 23 und 24 sollten eröffnet werden, "um dann miteinander in ein ernsthaftes und belastbares Gespräch zu kommen, wie die Dinge in der Türkei im Augenblick denn stehen", sagte Steinmeier am Montag nach einem Treffen mit seinem türkischen Amtskollegen Ahmet Davutoglu in Berlin.

Davutoglu bezeichnete die Eröffnung der Kapitel 23 und 24 als "sehr wichtig" für sein Land, parallel dazu könne es Reformen geben, etwa im Justizapparat. Die Türkei vertraue auf "die deutsche Führungsrolle" und Unterstützung bei den EU-Beitrittsverhandlungen.

Die Türkei verhandelt mit der EU seit 2005 über einen Beitritt, hat bisher aber kaum Fortschritte gemacht. Erdogan bekräftigte vor seiner Abreise nach Deutschland vor Journalisten in Istanbul, dass die Türkei weiter entschlossen die EU-Mitgliedschaft anstrebe.

Warnung vor Äußerungen, die die Integrationsbemühungen behindern

Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) mahnte Erdogan: "Jeder kann in Deutschland frei reden, solange er sich an die demokratischen Spielregeln hält", so Kauder mit Blick auf die geplante Rede Erdogans vor tausenden Landsleuten in Berlin. Nur dürfe Erdogan die Integration der Deutsch-Türken nicht erschweren, mahnte Kauder.

Der CDU-Politiker spielte damit auf einen Auftritt Erdogans in der Köln-Arena im Jahr 2008 an. Damals hatte der Ministerpräsident die rund drei Millionen Deutsch-Türken davor warnte, sich zu assimilieren, und damit eine hitzige Debatte über Integration ausgelöst. Erdogan wird am Dienstag von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im Bundeskanzleramt empfangen und hält später eine Rede im Berliner Tempodrom, zu der mehrere tausend Anhänger erwartet werden.

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Zugleich forderte Kauder, "Erdogan könnte hier einmal ein deutliches Bekenntnis zur Religionsfreiheit in der Türkei ablegen". Schließlich wolle Erdogan "ja mit der Türkei auch nach Europa". Kauder ist ein Gegner eines EU-Beitritts der Türkei. In der Vergangenheit hatte er sich bereits mehrfach kritisch zur Menschenrechtslage und Religionsfreiheit geäußert und sich insbesondere kritisch zur Lage der Christen in der Türkei geäußert.

Erdogans Wahlkampf in Deutschland

Sollte Erdogan beabsichtigen, wie damals "gegen die Integration der bei uns lebenden türkischstämmigen Mitbürger zu wettern, sollte er besser zu Hause bleiben", sagte der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff am Montag Merkel müsse Erdogan "zur Ordnung rufen" - auch wegen der gewaltsamen Niederschlagung von Protesten gegen seine islamisch-konservative Regierung im vergangenen Sommer sowie wegen Gefahren für die Pressefreiheit und Unabhängigkeit der Justiz in der Türkei.

Bei der bevorstehenden Präsidentschaftswahl in Erdogans Heimat sollen in Deutschland lebende Türken erstmals aus der Ferne ihre Stimmen abgeben dürfen. Insofern gilt Erdogans Auftritt in Deutschland vor allem als Wahlkampfveranstaltung Erdogans in Deutschland.

"Ich hoffe, dass die hier lebenden türkischen Wahlberechtigten genau verfolgt haben, was sich im vergangenen Sommer in der Türkei abgespielt hat und sich fragen, ob das so in Ordnung war", sagte Kauder dazu. Erdogan-Gegner haben eine Protestkundgebung gegen den Ministerpräsidenten am Brandenburger Tor angekündigt. (afp)