Ankara. . Machtkampf absurd. Der türkische Staatschef hatte einst gemeinsam mit der Gülen-Bewegung die Macht der kemalistischen Armee-Chefs rigoros beschnitten. Nun, da die Gülen-Bewegung Erdogan im Visier hat und mit Korruptionsvorwürfen überzieht, geht dieser wieder auf die Generäle zu.
Im Machtkampf mit politischen Gegnern hat die türkische Regierung in Ankara fast 350 Polizisten zwangsversetzt. Die Beamten gehörten Abteilungen an, die sich mit dem Kampf gegen Terrorismus, Schmuggel und Korruption beschäftigen, meldete die Nachrichtenagentur Anadolu am Dienstag.
Die Türkei wird von einem Streit im Lager der religiös-konservativen Kräfte erschüttert, der Mitte Dezember mit einem Korruptionsskandal eskalierte. Tayyip Erdogan kämpft um sein politisches Überleben. Der türkische Premier ist mit Korruptionsvorwürfen gegen seine Regierung konfrontiert, selbst gegen seinen Sohn wollte ein Staatsanwalt ermitteln – der sofort kaltgestellt wurde. Erdogan vermutet als Drahtzieher hinter den Bestechungsvorwürfen den islamischen Reform-Prediger Gülen, dessen Gefolgsleute an Schaltstellen der Polizei, der Justiz und der öffentlichen Verwaltung sitzen. Jetzt sucht Erdogan Verbündete – und das ausgerechnet im Militär.
1. Akt: Die Rache Erdogans an den Generälen
Die Militärs haben ihn bis aufs Messer bekämpft, ließen ihn ins Gefängnis werfen und wollten seine Partei verbieten: Für die türkischen Generäle, die sich als Wächter über die weltliche Staatsordnung sehen und seit 1960 vier demokratisch gewählte Regierungen stürzten, war der Islamist Tayyip Erdogan stets ein rotes Tuch.
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Erdogan nahm Rache: Schritt für Schritt drängte er als Premierminister den politischen Einfluss der Militärs, die noch in den 1990er Jahren als die heimlichen Herrscher des Landes galten, zurück. Dutzende Offiziere, unter ihnen Generäle und Admiräle, wurden wegen angeblicher Putsch-Pläne gegen Erdogan vor Gericht gestellt und zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt.
2. Akt: Die Macht der Gülen-Bewegung wächst
Wie weit die türkischen Militärs bereits gezähmt sind, zeigte sich Ende Dezember. Nachdem es in Teilen der Medien Spekulationen über eine mögliche Intervention der Streitkräfte in der Korruptionsaffäre gegeben hatte, veröffentlichte der Generalstab in Ankara eine Erklärung: Die türkischen Streitkräfte dienten der Nation „mit äußerster Loyalität auf der Grundlage der Gesetze und der demokratischen Prinzipien“. Die Armee werde „mit großer Umsicht alle politischen Kontroversen meiden“.
Die Entmachtung der Militärs verdankt Erdogan auch der Unterstützung Gülens. Seine Bewegung half der regierenden Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) tatkräftig dabei, den Einfluss der Generäle zurückzudrängen und Schlüsselpositionen im Staatsapparat, die bis dahin traditionell von Kemalisten, den Anhängern des vom Militär ganz besonders verehrten Staatsgründers Atatürk gehalten wurden, mit eigenen Leuten zu besetzen. So gewann Gülen immer mehr Einfluss - und wurde Erdogan schließlich zu mächtig. Heute ist der einstige Verbündete ein Widersacher.
3. Akt: Erdogan gegen die Gülen-Bewegung
Nun scheint Erdogan im Machtkampf mit Gülen ausgerechnet auf die Militärs zu setzen. Und er lieferte den Generälen bereits eine Steilvorlage. Erdogan sprach in den vergangenen Wochen im Zusammenhang mit den Korruptionsvorwürfen immer wieder von einem „Komplott“ und einem „Coup der Justiz“. Dann erklärte sein Top-Berater Yalcin Akdogan, jene, die hinter dem „Komplott“ gegen die Regierung stünden, hätten sich zuvor gegen das Militär verschworen.
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Daraufhin reichte der Generalstab vergangene Woche Klage wegen einer „Verschwörung“ gegen die Streitkräfte ein. Die Anzeige zielt auf einer Wiederaufnahme der Gerichtsverfahren ab, in denen während der vergangenen Jahren Dutzende Offiziere wegen angeblicher Putsch-Pläne zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden. Premier Erdogan, der seinerzeit die Prozesse unterstützte, erklärte jetzt, die Regierung habe nichts gegen eine Wiederaufnahme der Verfahren einzuwenden: „Unsererseits gibt es da kein Problem“, sagte Erdogan. Erdogans Flirt mit den Generälen ist zugleich eine weitere Eskalation im Machtkampf mit der Gülen-Bewegung. Denn deren Anhänger in der Justiz galten als treibende Kraft hinter den Prozessen gegen die Militärs.
Zwar lehnte ein Gericht am Montag einen Antrag auf Freilassung des inhaftierten früheren Generalstabschefs Ilker Basbug ab. Aber nach Einschätzung von Rechtsexperten könnte eine Wiederaufnahme der Verfahren gegen die Militärs zu Freisprüchen führen. Denn es gibt Anzeichen dafür, dass die Beweisführung in den ursprünglichen Prozessen mehr als unzureichend war. Manche Beobachter sprechen sogar von „gefälschten Indizien“.