Essen. Ein Vorstoß mit politischer Brisanz: Die EU-Kommision vertritt laut Medienbericht die Position, dass Migranten in Deutschland leichter Sozialleistungen erhalten sollen als bisher. Dass Ausländer nur Hartz-IV erhalten, wenn sie zuvor in einem Arbeitsverhältnis waren, verstoße gegen EU-Recht.

Zuwanderer müssen nach Ansicht der EU-Kommission in Deutschland leichter Zugang zu Sozialleistungen erhalten. Dies geht nach Informationen der "Süddeutschen Zeitung" (Freitag) aus einer Stellungnahme der Kommission zu einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg hervor.

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Darin stellt die Kommission dem Bericht zufolge eine zentrale Vorschrift im Sozialgesetzbuch über den Ausschluss von EU-Zuwanderern von Hartz-IV-Leistungen infrage. Diese sei mit europäischem Recht nicht vereinbar. Sollten die europäischen Richter der Kommission folgen, so hätten Zuwanderer künftig deutlich bessere Chancen auf Sozialleistungen, selbst dann, wenn sie keine Arbeitsstelle suchen. Die deutschen Gerichte hatten in dieser Frage bisher unterschiedlich entschieden. Deutschland wollte diese Frage nun vor dem Europäischen Gerichtshof geklärt haben wissen. Vor allem Vertreter der CSU hatten davor gewarnt, die Sozialleistungen auszuweiten: Dies öffne der Armutszuwanderung nach Deutschland Tür und Tor. Insofern hätte der jetzige Vorstoß der EU-Vorstoß enorme politische Brisanz.

Die Bundesregierung hält hingegen an ihrer Position fest, arbeitslose Zuwanderer in bestimmten Fällen von Hartz-IV-Leistungen auszuschließen. Eine Änderung der Gesetzeslage halte man nicht für nötig, betonte ein Sprecher des Bundesarbeitsministeriums am Freitag in Berlin. Die gegenteilige Auffassung der EU-Kommission in dem Rechtsstreit um Hartz-IV-Leistungen für eine rumänische Zuwanderin ohne Job sei "keinerlei Vorfestlegung" für die zu erwartende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH).

Die Bundesregierung vertrete die klare Rechtsauffassung, dass der Ausschluss beitragsunabhängiger Leistungen - wie das Arbeitslosengeld II - in den ersten drei Monaten generell und im konkreten Fall gerechtfertigt sei - "auch um Fehlanreize zu vermeiden", sagte der Sprecher. Er stellte klar, dass dies nichts "mit der Freizügigkeit, mit der Zuwanderung von Fachkräften" zu tun habe. Berechtigte Ansprüche auf Sozialleistungen wie das Kindergeld stelle man "überhaupt nicht in Frage". Dies müsse sauber getrennt werden.

Jeder Einzelfall soll überprüft werden

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In dem Verfahren, das derzeit vor dem EuGH anhängig ist, geht es den Angaben zufolge um eine 24-jährige Rumänin und ihren kleinen Sohn, die seit 2010 dauerhaft in Deutschland leben. Die Frau wohnte demnach jahrelang bei ihrer Schwester in Leipzig und erhielt Kindergeld sowie einen Unterhaltsvorschuss vom Jugendamt. Arbeit habe sie nicht aufgenommen, ihren Antrag auf Hartz-IV-Leistungen habe das Jobcenter abgelehnt. Als sie dagegen klagte, habe das Sozialgericht Leipzig den Fall im Juni 2013 dem EuGH zur Klärung vorgelegt.

Die Kommission bemängelt laut "Süddeutscher Zeitung" insbesondere den generellen Ausschluss vieler EU-Ausländer von Hilfen im deutschen Sozialrecht. Nach den geltenden Regeln erhalten nur Arbeitnehmer und Selbstständige Hartz-IV-Leistungen, nicht aber Migranten, die nach Deutschland kommen und keine Arbeit suchen.

Die EU verlange in der Stellungnahme jedoch, jeden Fall einzeln zu beurteilen, sagte die Professorin für Sozialrecht an der Hochschule Niederrhein, Dorothee Frings, dem Blatt. "Auch bei Zuwanderern, die nicht aktiv nach einer Arbeit suchen, muss demnach der Anspruch auf Hartz IV geprüft werden." Das Bundesarbeitsministerium dagegen bekräftigte erst kürzlich, grundsätzlich am Ausschluss arbeitssuchender und arbeitsloser Zuwanderer von Sozialleistungen festhalten zu wollen, um aufwendige Einzelfallprüfungen zu vermeiden. Die Stellungnahme der EU-Kommission dürfte die politische Debatte um sogenannte Armutszuwanderer aus Rumänien und Bulgarien weiter anfachen.

CSU: Der Vorstoß ist "brangefährlich"

Die CSU - die die Debatte bisher angetrieben hat - regierte entsprechend: Der Vorsitzende der CSU-Gruppe im Europäischen Parlament, Markus Ferber, bezeichnete die Stellungnahme aus Brüssel als "brandgefährlich". Damit werde die "Solidarität der Mitgliedstaaten untereinander so überdehnt, dass am Ende das europäische Einigungswerk gefährdet werden kann", sagte er.

"Die nationalen sozialen Sicherungssysteme sind kein Selbstbedienungsladen für alle Europäer, die zu uns kommen", sagte Generalsekretär Andreas Scheuer. "Es ist für mich schockierend, wie die EU-Kommission leichtfertig die nationalen Sicherungssysteme damit torpediert." Scheuer nannte die Brüsseler Stellungnahme "fatal" und einen "eurokratischen Wahnsinn", dem man Einhalt gebieten müsse. "Wenn Beamte in der EU-Kommission in Brüssel in ihren De-Luxe-Büros auf unsere nationalen sozialen Sicherungssysteme eingreifen wollen, dann wird es den erbitterten Widerstand der CSU geben", sagte er. "Einen Selbstbedienungsladen Deutschland in Europa darf es nie geben." Die EU-Kommission befördere mit ihren Überlegungen Armutszuwanderung nach Deutschland, dies widerspreche eindeutig dem europäischen Gedanken.

Der neue CDU-Generalsekretär Peter Tauber will das Thema auf europäischer Ebene diskutieren. Mit der EU-Kommission müssten Regeln gefunden werden, um einen gezielten Zuzug in die Sozialsysteme zu verhindern, sagte er.

Der jetzige Vorstoß sorgte allerdings auch für Verwirrung. Denn frühere Äußerungen der EU-Kommission gingen in eine andere Richtung. "Das EU-Recht sagt ganz klar: Es gibt ein Recht auf Freizügigkeit, aber kein Recht auf Einwanderung in die nationalen Sozialsysteme", hatte EU-Justizkommissarin Viviane Reding noch kurz vor Weihnachten gesagt. "Freizügigkeit heißt nicht, frei Sozialleistungen zu beziehen. Laut EU-Recht haben nur arbeitende EU-Bürger ein Recht auf Sozialleistungen." (dpa/afp)