Berlin. In der Debatte über die sogenannte Armutszuwanderung hat sich der Ton in der Koalition verschärft. “Dumme Parolen“ für den Stammtisch oder Einfordern von Koalitionsabsprachen? Im Zuwanderungsstreit attackiert die SPD den Bündnispartner CSU. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
Nach Inkrafttreten der Arbeitnehmerfreizügigkeit für Rumänen und Bulgaren drängt die CSU auf Beschränkungen bei der Zuwanderung aus beiden Ländern. Dabei kommen bislang nicht allzu viele Menschen aus diesen beiden Ländern in die Bundesrepublik. Experten sehen trotzdem Risiken.
Was hat sich zum 1. Januar geändert?
Seit Jahresbeginn gilt auch für Bürger aus Bulgarien und Rumänien die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit in allen anderen EU-Staaten. Bislang brauchten Menschen aus den beiden Ländern eine Erlaubnis, um in Deutschland arbeiten zu dürfen.
Wieviele Menschen aus den beiden Ländern leben derzeit in der Bundesrepublik?
Nach Angaben der Bundesregierung lebten im Oktober 2013 rund 262. 000 Rumänen und knapp 145.000 Bulgaren in Deutschland.
Unter welchen Umständen können Bürger aus den beiden Ländern in Deutschland Sozialleistungen beziehen?
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Bürger, die aus einem anderen EU-Land nach Deutschland kommen, haben zunächst keinen Anspruch auf Sozialleistungen. Das ändert sich erst, wenn sie länger hier arbeiten: Dann haben sie die gleichen Ansprüche wie deutsche Arbeitnehmer. Nach einjähriger Berufstätigkeit besteht zunächst ein sechsmonatiger Anspruch auf Arbeitslosengeld I. Bei Bedarf folgt im Anschluss das ALG II, auch Hartz IV genannt. Allerdings können Arbeitnehmer mit geringfügiger Beschäftigung ebenso wie ihre deutschen Kollegen eine Aufstockung ihres Gehalts bekommen.
Außerdem haben in Deutschland lebende Familien aus anderen EU-Ländern unabhängig von einer Erwerbstätigkeit Anspruch auf Kindergeld - und zwar auch dann, wenn die Kinder nicht in Deutschland leben. Forderungen, die Kindergeldzahlungen an den Schulbesuch in Deutschland zu koppeln, hat das Bundesfamilienministerium als verfassungsrechtlich nicht machbar verworfen.
Wie hoch ist die Arbeitslosenquote?
Die Arbeitslosenquote der Bulgaren und Rumänen belief sich Mitte 2013 auf 7,4 Prozent und ist damit etwas geringer als im Bevölkerungsdurchschnitt (7,7 Prozent). Er war deutlich geringer als bei der ausländischen Bevölkerung insgesamt (14,7 Prozent).
Wieviele Rumänen und Bulgaren nehmen bislang deutsche Sozialleistungen in Anspruch?
Mitte vergangenen Jahres bezogen 37.000 Menschen aus Bulgarien und Rumänien Hartz-IV-Leistungen. Dies entspricht einem Anstieg von 44 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Damit bezogen etwa zehn Prozent der hier lebenden Bulgaren und Rumänen Hartz IV. Der Anteil war höher als im gesamten Bevölkerungsdurchschnitt, aber deutlich niedriger als im Durchschnitt der ausländischen Bevölkerung (16,2 Prozent).
In einem ähnlichen Rahmen bewegen sich die Zahlen beim Kindergeld. Ende vergangenen Jahres lebten in Deutschland insgesamt 35.000 Kindergeldberechtigte aus Bulgarien und Rumänien. Sie hatten Ansprach auf Leistungen für gut 56.000 Kinder.
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Der Anteil der Kindergeldempfänger unter den hier lebenden Bulgaren und Rumänen betrug zur Jahresmitte 2013 8,8 Prozent. Das war etwas geringer als im Bevölkerungsdurchschnitt (10,8 Prozent) und deutlich geringer als im Durchschnitt der ausländischen Bevölkerung (15,0 Prozent).
Welche Entwicklungen prognostizieren die Experten?
Nach Schätzungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung bei der Bundesagentur für Arbeit (IAB) könnten durch die Freizügigkeit in diesem Jahr 100.000 bis 180.000 Zuwanderer aus beiden Ländern hinzukommen. Die Zahl der Hartz-IV-Empfänger könne zum Jahresende 2014 optimistisch gerechnet auf 50.000 bis 58.000 steigen - unter extrem pessimistischen Annahmen allerdings auf 80.000 bis 93.000.
Risiken ergeben sich dem IAB zufolge aus der geringen Qualifikation der Zuwanderer. Nach dem Mikrozensus 2011 verfügen 46 Prozent der Bulgaren und Rumänen, die nach 2007 zugewandert sind, über keine abgeschlossene Berufsausbildung. "Die ökonomischen und sozialen Probleme konzentrieren sich auf einige strukturschwache Kommunen", heißt es in der Studie des Instituts. Vor allem in Duisburg, Berlin und Dortmund seien die Beschäftigungsquoten gering und die Arbeitslosenquoten hoch. "In diesen Kommunen lebt eine große Gruppe, die weder erwerbstätig ist noch SGB-II-Leistungen bezieht."
Die Leistungen der Kommunen bei Armutszuwanderung
"Es gibt ein Recht auf Freizügigkeit, aber kein Recht auf Einwanderung in die nationalen Sozialsysteme", stellt das deutsche Büro der EU-Kommission unter Berufung auf EU-Recht klar. Doch welchen konkreten Handlungsspielraum hat eine deutsche Kommune, wenn plötzlich eine arme Familie mit Kindern aus einem EU-Partnerland Aufnahme begehrt?
LEBENSUNTERHALT: Nach EU-Recht haben Arbeitssuchende in den ersten drei Monaten zwar keinen Anspruch auf finanzielle Hilfe des aufnehmenden Landes. Doch viele Kommunen sagen: "Wir können eine Familie, die plötzlich in unsere Stadt kommt, nicht einfach auf der Straße stehen und verhungern lassen". Es gibt Geldhilfen - unterhalb des Hartz-IV-Existenzniveaus von derzeit 391 Euro monatlich, oder auch Sachmittel - wie Lebensmittel und Kleidung. Häufig müssen Arztkosten übernommen werden, insbesondere die Kinder sind oft nicht krankenversichert.
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WOHNRAUM: Die Kommunen helfen bei der Suche nach einer Unterkunft. Doch es fehlen große Wohnungen für kinderreiche Familien. Zugleich beobachten die Kommunen, dass auf dem freien Markt Zuwanderern "Schrottimmobilien" und Mehrbetten-Zimmer zu überteuerten Preisen angeboten werden. Ein Spitzentreffen von Kommunen, Bund und Ländern Anfang Februar soll Hilfsvorschläge machen.
BLEIBERECHT: Erscheinen Arbeitsplatzsuche und Integration als aussichtslos und ist zu befürchten, dass der Zuwanderer auf Dauer zum Sozialfall wird, kann er nach EU-Recht innerhalb der ersten fünf Jahre wieder in sein Heimatland abgeschoben werden. Zuvor muss eine Einzelfallprüfung stattfinden - ähnlich wie bei Asylverfahren.
KINDERGELD: Kindergeld kann laut Bundesfamilienministerium aus verfassungs- und europarechtlichen Gründen nicht allein deswegen verweigert werden, weil die Kinder nicht bei ihren zugewanderten Eltern in Deutschland leben, sondern in ihrem Heimatland. Allerdings können nach dem Gesetz hier lebende Ausländer nur dann Kindergeld erhalten, wenn sie eine gültige Niederlassungserlaubnis besitzen.
Voraussetzung dafür sind in der Regel entweder eine Arbeitsstelle innerhalb der ersten fünf Aufenthaltsjahre oder genügend eigene finanzielle Mittel zum Lebensunterhalt. Schwierig ist die Überprüfung bei selbstständiger Arbeit. Auskunft im Einzelfall erteilen die Kindergeldkassen der Arbeitsämter. (dpa/afp)