Essen. Anfang der 80er-Jahre gingen die Deutschen noch in Massen auf die Straße, um gegen die geplante Volkszählung zu protestieren. Nun bleibt die Empörung über die NSA-Affäre aus. Doch wo ist der Ärger der Deutschen geblieben? Woher diese Gleichgültigkeit kommt - und warum sie gefährlich ist. Ein Essay.

30 Jahre können eine Ewigkeit sein. Anfang der 80er-Jahre protestierten die Deutschen in Massen gegen die Volkszählung. Die Menschen waren erbost. Wir lassen uns vom Staat nicht ausspionieren, war ihr Motto, und der Weg führte sie bis zum Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe, das den Schutz der eigenen Daten zum Grundrecht erklärte.

Was aber war die Volkszählung im Vergleich zur weltweiten Spitzelei, die in diesen Monaten scheibchenweise enthüllt wird?

Wo bleibt der Aufschrei, wenn Geheimdienste den internationalen Datenverkehr absaugen, die Internetriesen abschöpfen, derer wir uns täglich bedienen und die alles bunkern, was wir von ihnen erfragen, und gigantische Speicher betrieben werden, auf denen sich die Daten zu Profilen verknüpfen lassen? Überfordert uns die digitale Revolution derart, dass wir uns ihr willenlos ausliefern?

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Der Schriftsteller Hans-Magnus Enzensberger, 83 und weiß Gott kein Dauergast im deutschen Fernsehen, nutzte gleich mehrere Gesprächsrunden, unter anderem bei „Beckmann“, um über „die Abschaffung der Privatsphäre“ zu klagen und „postdemokratische Zustände“ auszurufen. Aber die Mahnung des weisen Mannes droht zu verpuffen.

Merkels Handy mit einer Prise Schadenfreude abgehakt

Gewiss, andere Autoren haben eine Petition gegen die Überwachung formuliert und fleißig Unterschriften gesammelt, einige tausend Teilnehmer wurden hier und da auf Demonstrationen gezählt – aber neben Talkrunden befassen sich nur Zeitungen und Internetforen intensiv mit den Verwerfungen. Vor der Wahl drehte die Regierung die Empörungsflamme schnell herunter, und ein Schlagerthema am Stammtisch ist die NSA-Affäre auch heute nicht. Merkels Handy wird da eher als Episode mit einer Prise Schadenfreude abgehakt.

Das Feindbild ist zu diffus. Viele können den Gegner nicht präzise fassen, er ist nicht nah. Das Internet ist ein schwarzes Loch, und abstrakt wirkt die Bedrohung. Was kann mir passieren, ich habe nichts zu verheimlichen, ist die gelebte Denkart. Es fehlt die Fantasie, sich vorzustellen, wie unangenehm es im zugespitzten Fall werden könnte, wenn der Staat das Intimste hemmungslos durchleuchtet.

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Wenn der Lebensgefährte eines Enthüllungsjournalisten an irgendeinem Flughafen verhört wird – was hat das mit mir zu tun? Die Denkapparatur der Stasi scheint vielen abgeschlossene Geschichte.

Gleichgültigkeit ist eine Gefahr für die Demokratie

Für die Gleichgültigkeit, die man als größte Bedrohung für eine Demokratie empfinden kann, sprechen daneben drei Motive:

  • Es gibt jene, die das großflächige Abhören als Preis für unsere Sicherheit angemessen finden und der Meinung sind, dass man den Geheimdiensten nicht dazwischenpfuschen sollte.
  • Die Abgestumpften sagen, dass sie es ja schon immer gewusst hätten, sie nichts mehr überrasche und dass man es doch ohnehin nicht ändern könne.
  • Und dann ist da ein millionenschweres Heer von Menschen, de­nen die Privatsphäre herzlich egal ist, die täglich schon freiwillig alles mögliche an Daten preisgeben, ohne je darüber nachzudenken, wo ih­re Angaben landen und wer mit ihren Angaben arbeitet. Das fängt mit der Paybackkarte im Supermarkt an.

Jeder Facebook-Klick ist ein Fußabdruck

Viele drängt es sogar mit Privatem in die Öffentlichkeit, und sei es, weil sie darum buhlen, von möglichst vielen wahrgenommen zu werden. Rund 25 Millionen deutsche Nutzer sind mindestens einmal im Monat auf Facebook unterwegs, hat das soziale Netzwerk unlängst bilanziert. Das ist fast die Hälfte der deutschen Internetnutzer.

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Rund 19 Millionen Mitglieder sollen das Netzwerk demnach täglich nutzen: Jeder Klick ist ein Fußabdruck. Es braucht nicht einmal ausgeklügelte Überwachungssysteme, um mit den Vorgaben zu arbeiten. Selbst Ordnungsämter surfen für Ermittlungen fröhlich bei Facebook herum, wie ein Verfahren vor dem Düsseldorfer Amtsgericht unlängst öffentlich machte.

Allein: Am Nutzungsverhalten werden solche Erkenntnisse nicht viel ändern – welcher Raucher stellt schon das Qualmen ein, wenn man ihm sagt, es sei ungesund?

Da möchte man glatt Schnüffler sein: Himmlische Zeiten sind das.