Washington. . Die Chancen, dass Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich bei seinen Gesprächen in den USA die US-Nachrichtendienste zu mehr Zurückhaltung anhalten kann, stehen eher schlecht. Im Gegenteil: Die 16 Geheimdienste in den USA rüsten mit Milliarden-Programmen technisch massiv auf.

Als Hans-Peter Friedrich im Frühjahr seinen Antrittsbesuch bei den Experten für innere Sicherheit der zweiten Obama-Regierung absolvierte, war der deutsche Innenminister hinterher voll des Lobes: „Wir nehmen uns gegenseitig zum Vorbild“, erzählte der CSU-Politiker. Zumindest offiziell ist die Begeisterung inzwischen gewichen.

Ab Montag wollen deutsche und US-Experten in Washington im Lichte der Enthüllungen des früheren US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden über diverse Späh-Programme und Spionage-Aktivitäten neues Vertrauen aufbauen. Die Aussichten, dass Friedrich, der Ende der Woche in Washington erscheinen will, Zusagen über mehr Zurückhaltung der US-Nachrichtendienste erhalten wird, stehen schlecht.

Wie ist in Washington die deutsche Welle der Entrüstung angekommen? 

Erst: Verwunderung. Dann: Kopfschütteln. Später: dezente Verstimmung. Quer durch die Bank können US-Sicherheitskreise das Lamento der deutschen Regierung kaum nachvollziehen. „Die Reaktionen erinnern ein wenig an die gespielte Empörung von Inspector Renaud in dem Film „Casablanca“, als er seiner Verwunderung über das praktizierte Glücksspiel Ausdruck verlieh“, sagt ein Experte des konservativen Cato-Instituts in Washington.

Tenor: Bundesnachrichtendienst, Bundesamt für Verfassungsschutz und Militärischer Abschirmdienst seien, wenn auch nicht in jedem Detail, so doch im Grundsatz seit Jahrzehnten über die vertraglich vereinbarten Aktivitäten der amerikanischen Partner im Bilde.

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Diese Haltung findet ihre Entsprechung in der Kommentierung durch diverse Leitmedien. „New York Times“ und „Washington Post“ halten die harsche Kritik der deutschen Politik für „überzogen“, ja sogar „heuchlerisch“.

In vielen Berichten wird detailliert darauf verwiesen, dass Informationen der National Security Agency (NSA) – weitergereicht an den Bundesnachrichtendienst – Terror-Anschläge verhindert hätten. NSA-Chef General Keith Alexander, sonst ein Ausbund von Verschwiegenheit, sprach zuletzt öffentlich von rund 50 Anschlags-Szenarien weltweit, die durch die Auswertung massenhaft abgefangener Daten durchkreuzt worden seien; das Gros davon in Europa und Asien.

Gibt es Anzeichen dafür, dass die USA ihre Bemühungen auf dem Feld der Datengewinnung zurückschrauben? 

Im Gegenteil. Die 16 parallel arbeitenden Geheimdienste hatten zuletzt einen Jahresetat von zusammen rund 80 Milliarden Dollar. Mehr als ein Viertel davon geht an die für Cyber-Sicherheit zuständigen Apparate; Tendenz steigend. Präsident Obama hat allein den Haushalt des Verteidigungsministeriums für die Gefahrenabwehr im Internet um 25 Prozent auf rund fünf Milliarden Dollar angehoben.

Die Amerikaner sehen in künftig denkbaren „Kriegen im digitalen Raum“ eine größere Bedrohung als die durch den islamistisch motivierten Terrorismus. Die Expansion hat zwei augenfällige Beispiele: „Crypto City“, so nennt der Volksmund das schon heute kleinstadtähnliche Hauptquartier des Geheimdienstes NSA bei Fort Meade/Maryland, wird um 90 Hektar massiv ausgebaut.

In Utah nimmt die NSA im Herbst in einer abgelegenen Gegend ein für zwei Milliarden Dollar gebautes Daten-Center mit eigenem Kraftwerk in Betrieb. Einziger Zweck: die Unterbringung von Servern, auf denen Billionen von Daten gespeichert werden. Die Datenmenge wird in Yottabyte angegeben – das ist eine 1 mit 24 Nullen dahinter.

In der NSA-Zweigstelle Oak Ridge im Bundesstaat Tennessee werden zudem neue Rechner-Systeme aufgebaut, mit denen bisher unantastbare Verschlüsselungssysteme entzaubert werden könnten.

Sind „Prism“, „Tempora“ und die übrigen bekannt gewordenen Geheim-Programme zum Abschöpfen von Daten der letzte Stand der Technik? 

Nein. Ohne öffentliche Begleitmusik wird derzeit in Washington ein Gesetzentwurf vorangetrieben („Communications Assistance for Law Enforcement Act 2“), der den Geheimdiensten das Abgreifen von Daten sehr erleichtert.

Danach würden Internet- und Kommunikations-Firmen verpflichtet, künftig ihre Produkte quasi „ab Werk“ technisch fürs Mithören und Mitschneiden auszurüsten. Die Nachrichtendienste bekämen die Rohmasse an E-Mail, Handy- und Telefon-Daten frei Haus geliefert.

Sprechen die Europäer in ihrer Klage gegen die Datensammelwut der Amerikaner mit einer Zunge? 

Nein. Großbritannien, von Enthüller Snowden gesondert wegen eines eigenen Späh-Programms („Tempora“) vorgeführt, hat die heute beginnenden Gespräche im Vorfeld arg beschnitten.

Unterstützt nur von Schweden, hat der englische EU-Botschafter zuletzt per Veto dafür gesorgt, dass bei den Konsultationen bestimmte Spionage-Tätigkeiten außen vor bleiben. Begründung: Die EU habe dafür kein Mandat.

Südamerika könnte die neue Heimat von Edward Snowden werden. Mit Venezuela, Nicaragua und Bolivien haben drei Staaten dem früheren US-Geheimdienstexperten Asyl angeboten. Nach seinen Enthüllungen über weltweite Datenspionage der USA soll Snowden auf dem Moskauer Flughafen Scheremetjewo festsitzen.

Russland, so spekuliert „Der Spiegel“, gewähre Snowden auch deshalb Aufenthalt am Flughafen, um an die Daten auf seinem Laptop zu kommen. „Je länger sich Snowden am Flughafen aufhält, desto größer ist die Chance, dass sich Moskaus Geheimdienst-Häcker Zugang verschaffen“, so das Magazin. China, so heißt es weiter, habe bereits signalisiert, „eine Kopie des Geheimdiensts-Schatzes zu besitzen“.