Berlin. Die Union drängt die SPD zu einer zügigen Regierungsbildung. Zum Auftakt der Sondierungsgespräche über eine große Koalition ist der Ausgang jedoch völlig offen. Und führende CDU-Politiker werben intensiv um die Grünen. Die Übersicht zur Gefechtslage.
Vor dem ersten Sondierungsgespräch über eine große Koalition hat die Union eine zügige Regierungsbildung angemahnt. "Wir haben eine gemeinsame Verantwortung, eine stabile Regierung zu bilden", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Sie sicherte SPD und Grünen "faire Gespräche" zu. Die SPD-Führung mahnte, die Verhandlungen nicht mutwillig zu verschleppen.
Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) warnte vor einer Hängepartie: "Man könnte es weder unseren Bürgern noch den Menschen anderswo erklären, warum Deutschland bei einem solchen eindeutigen Wahlergebnis längere Zeit keine neue Regierung zustande bekommen sollte." Bei den Sozialdemokraten gibt es aber weiter massive Vorbehalte gegen ein Bündnis mit der Union. Die Grünen bringen immer offensiver eine rot-rot-grüne Zusammenarbeit ins Gespräch.
SPD nimmt das Tempo 'raus
Union und SPD wollen an diesem Freitag die Chancen für formelle Koalitionsverhandlungen ausloten. An dem Treffen in Berlin nehmen insgesamt 21 Unterhändler teil. Detaillierte Absprachen oder gar Festlegungen soll es zunächst noch nicht geben.
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel betonte vor den Gesprächen mit der Union, Gründlichkeit müsse zwar vor Schnelligkeit gehen. "Aber die Parteien dürfen auch nicht taktieren und die Verhandlungen mutwillig verschleppen". In seiner Partei gibt es die Sorge, die Union wolle Sozialdemokraten und Grüne gegeneinander ausspielen.
Und in der Tat scheint Schwarz-Grün eine nicht ganz unrealistische Option zu sein: Spitzenpolitiker der CDU hätten führenden Grünen versichert, die schwarz-grüne Sondierung sei nicht nur ein taktisches Manöver, sondern ausdrücklich ernst gemeint, berichtete die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" . CDU-Bundesvize Armin Laschet betonte er habe keine Präferenzen zwischen SPD und Grünen. "Beide Parteien sind gleichweit von uns entfernt", sagte er. Der nordrhein-westfälische CDU-Chef lobte zugleich, dass die Grünen nach ihren Verlusten bei der Bundestagswahl personell
bereits Konsequenzen gezogen hätten. "In dieser Phase lohnt es sich, mit den Grünen zu sprechen."
Löhrmann will auch mit der Linken sprechen
Das Mitglied der Grünen-Sondierungskommission, Sylvia Löhrmann, würde dagegen gerne auch mit der Linken sprechen. "Die SPD müsste dazu einladen", sagte die nordrhein-westfälische Schulministerin dem Bielefelder "Westfalen-Blatt" (Donnerstag). Man müsse die Linke aus der Schmollecke herausholen. "In Berlin gerieren sich die Linken wieder als Weltretter, müssen aber nicht den Ernstfall beweisen."
Die wichtigsten Konfliktpunkte zwischen CDU und SPD
Pkw-Maut: Die Union ist selbst uneins über ein brisantes Thema, das die CSU zur Bedingung einer Koalition erklärt hat: eine Pkw-Maut für ausländische Wagen. Die CDU peilt eine wie auch immer geartete "Lösung" an, die SPD lehnt eine Pkw-Maut strikt ab. Alle sind sich aber einig, dass mehr Geld für Investitionen nötig ist.
Mieten: Gegen drastische Mieterhöhungen schlagen Union und SPD Preisbremsen vor. Die SPD will bundesweit eine Erhöhungs-Obergrenze bei Wiedervermietungen von zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete. Die Union will den Ländern für Gebiete mit angespanntem Markt die Möglichkeit zu einem solchen Limit geben.
Steuern: Die SPD will den Spitzensteuersatz von 42 auf 49 Prozent anheben, und zwar ab einem zu versteuernden Einkommen von 100 000 Euro für Singles. Mit den Mehreinnahmen sollen Bildung, Infrastruktur und Kommunen gestärkt werden. Die Union hat Steuererhöhungen wiederholt ausgeschlossen. Einen heimlichen Steueranstieg etwa bei Lohnerhöhungen ("kalte Progression") will sie verhindern. Eine Neuauflage der Vermögensteuer ist eher unwahrscheinlich. Die von der SPD geforderte stärkere Belastung von Kapitalerträgen könnte kommen, wenn im Kampf gegen Steuerflucht die Abgeltungssteuer fällt. Das Ehegatten-Splitting dürfte im Kern bestehenbleiben.
Rente: Ein Kompromiss ist gut vorstellbar. Denn
im Ziel sind sich Union wie SPD einig: Wer Zeit seines Lebens gearbeitet, aber
wenig verdient hat, soll im Rentenalter mindestens 850 Euro monatlich zum Leben
haben und nicht zum Sozialamt gehen müssen. Uneinig sind sich beide Seiten nur
über den Weg dahin.
Arbeitsmarkt: Einig ist man sich in der Stärkung
der Tarifeinheit nach dem Motto: ein Unternehmen, ein Tarifvertrag. Auch beim
Mindestlohn scheinen die Gräben überwindbar, ebenso bei den Positionen zu Leih-
und Zeitarbeit sowie bei Werkverträgen.
Betreuungsgeld: Da hakt es. Das
von der CSU - gegen teils großen Widerstand der CDU - mühsam durchgesetzte
Betreuungsgeld, ist für die Christsozialen nicht verhandelbar. Für die SPD ist
das Geld für Eltern, die ihre Kleinkinder nicht in eine öffentlich geförderte
Betreuung geben, dagegen zum Fenster rausgeschmissen. Die Sozialdemokraten
wollen die Mittel stattdessen in den Ausbau der Kinderbetreuung
stecken.
Energie: Die Förderung über das Erneuerbare-Energien-Gesetz wollen beide Seiten kappen und den Ausbau von Solar- und Windenergie stärker an das Tempo beim Netzausbau anpassen. Um die Stromkosten der Bürger zu senken, will die Union Industrierabatte um 700 Millionen Euro reduzieren, die SPD um 500 Millionen Euro. Die SPD dringt auf eine Senkung der Stromsteuer um 0,5 Cent je Kilowattstunde. Die Union lehnt dies ab, da mit den Einnahmen bislang die Rentenbeiträge stabilisiert werden. Zum Kraftakt dürfte der Neustart der Suche nach einem Atommüllendlager werden.
Gesundheit: Die Vorstellungen von Union und SPD gehen auf diesem Gebiet recht weit auseinander. CDU und CSU wollen am bestehenden System festhalten, das bei steigenden Kosten die Arbeitgeber schützt und nur die Beschäftigten belastet. Die SPD will dies ändern: Durch eine solidarische Bürgerversicherung, in die alle einzahlen. (dpa)