Berlin. Zerknirscht machen sich die Grünen daran, ihre Wahlniederlage aufzuarbeiten – doch wohin soll es gehen? “Unser Platz ist in der Mitte der Gesellschaft“, sagt Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Eine Abkehr vom eher linken Wahlkampf des Spitzenkandidaten Jürgen Trittin.

CDU oder Linkspartei? Die Grünen streiten über ihren Kurs bei der Suche nach neuen Bündnispartnern – eine Lektion aber haben sie gelernt: Schluss mit Verboten und Belehrungen. Rückbesinnung auf urgrüne Themen wie Umweltschutz und vor allem: Bürgerrechte. Nach dem mageren Wahlergebnis und dem Ausscheiden der FDP aus dem Bundestag wollen führende Grünen-Politiker ihre Partei als liberale Kraft stärken und das bürgerrechtliche Erbe ins Zentrum stellen. Es ist der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich Realos und Linke derzeit einigen können.

Sind die Grünen die neuen Liberalen?

Die Stühle der FDP sind leer, die Grünen wittern ihre Chance: „Den Platz als Bürgerrechtspartei hat die FDP schon lange geräumt.“ Die Parteilinke Simone Peter, die Claudia Roth als Parteichefin nachfolgen soll, will das nutzen: „Die eigentliche Bürgerrechts- und Freiheitspartei sind wir.“ Andere Spitzengrüne sekundieren: Der scheidende Fraktionschef Jürgen Trittin reklamiert „das bürgerrechtliche Erbe“ der FDP für die Grünen. „Dafür brenne ich, gerade als Ossi“, sagt Katrin Göring-Eckardt, die trotz des schlechten Wahlergebnisses Renate Künast als Fraktionschefin ablösen will.

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Brauchen die Grünen ein neues Image?

Die Grünen sind auf der Suche nach sich selbst. Mal wieder. „Wozu sind wir überhaupt da?“ Solche Fragen beschäftigen alle Parteien – die Grünen aber stellen sie gerne öffentlich. „Wir hauen immer am liebsten mit der Peitsche auf den eigenen Rücken“, klagt die scheidende Wahlkampfmanagerin Steffi Lemke beim kleinen Parteitag in Berlin. Die Grünen haben nicht viel Zeit für den Neustart. Die Umfragen gehen weiter runter. Und schon im Mai stehen wichtige Wahlen an – die Europawahl und die Kommunalwahlen in NRW.

Wollen die Grünen lieber Schwarz-Grün oder Rot-Rot-Grün?

Sie schließen nichts aus. Parteichef Özdemir will einen Kurs der Eigenständigkeit – das könne „auch Rot-Rot-Grün bedeuten“. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann dagegen hält eine weitere Orientierung nach links für falsch: „Wir müssen für stabile Mehrheiten kämpfen.“ Das heißt: Weniger Angriff, mehr Dialog, gerade auch mit der Wirtschaft, – eine Attacke auf Jürgen Trittin. Und Finger weg von Themen, die SPD und Linkspartei besser können: „Wir sind nicht die Partei des Umverteilens, dafür werden wir nicht gewählt.“

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Die Grünen hatten im Wahlkampf versprochen, mit der Besteuerung höherer Einkommen die soziale Ungleichheit zu bekämpfen – der Linkskurs kam beim Wähler aber kaum an. Die Parteilinken jedoch verteidigen das Programm: Es sei „im Kern richtig“, so NRW-Parteichef Sven Lehmann. Die Grünen brauchten jetzt vor allem einen neuen Stil: „Das Image der Verbotspartei hat uns am meisten geschadet.“

Werden die Grünen mit der CDU verhandeln?

Die Grünen warten auf Merkels Anruf – und wünschen sich doch insgeheim, dass er nicht kommt. Sie haben mit sich selbst genug zu tun. Die alte Führungsriege will beim Parteitag in drei Wochen geschlossen zurücktreten, die Neuen laufen sich warm, prominent sind sie noch nicht. Die Gespräche mit der Union sollen noch die Alten führen: die Parteichefs Cem Özdemir und Claudia Roth, die Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin. Sondierungsgespräche sind im Moment kaum mehr als eine Formsache: Die Grünen sind bereit, doch die Chancen auf Schwarz-Grün sind klein.

Wie sieht der Fahrplan für die nächsten Wochen aus?

Parteichef Özdemir rechnet frühestens Ende der Woche mit Gesprächen, wenn SPD und Union ihre erste Sondierungsrunde beendet haben. „Es gibt keine Parallelverhandlungen, um den Preis zu drücken“, so Özdemir. Führende Grüne stellen sich auf eine Große Koalition in Berlin ein: „Ich glaube nicht, dass es zu Koalitionsgesprächen mit uns kommt“, sagt Sylvia Löhrmann, stellvertretende Ministerpräsidentin in NRW. Sie wäre auch nicht traurig deswegen: „Opposition ist nicht Mist, sondern Dung, aus dem was Neues wächst.“