München. Im NSU-Prozess hat am Dienstag unter Tränen Ismael Yozgat geschildert, wie er seinen Sohn Halil ermordet in seiner Blutlache fand. Ein hessischer Verfassungsschutzbeamter, der zur Tatzeit am Tatort war, verärgerte das Gericht mit seinen Aussagen: Er will vom Mord im Internetcafé nichts mitbekommen haben.

Bohrend stellt Richter Manfred Götzl dem Zeugen Andreas T. immer wieder dieselbe Frage: Wieso hat sich der frühere Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes nach dem Mord in einem Internetcafé in Kassel nicht bei den Behörden gemeldet? Geradezu schmerzhaft legt der Richter immer wieder den Finger in die Wunde. Denn der Zeuge hatte zuvor erklärt, nichts von dem Mord an Halit Yozgat während seines Besuchs in dem Internetcafé bemerkt zu haben. Vielmehr will er erst Tage später aus der Zeitung davon erfahren haben.

Außerdem sei er davon überzeugt gewesen, am Tattag nicht in dem Café gewesen zu sein, wiederholt der Zeuge immer wieder. Das aber stimmt offensichtlich nicht. Denn als Halit Yazgat am 4. April 2006 in dem Kasseler Internetcafé in der Holländischen Straße getötet wurde, soll Andreas T. am Tatort an einem Computer gesessen haben. Mit Angst begründet der Zeuge sein damaliges Verhalten, nichts gesagt zu haben. Das Internetcafé lag offenbar in einer Gegend, in der der hessische Verfassungsschutz Islamisten beobachtete.

Auf Nachfrage von Richter Götzl erklärt er, dass er „menschliche Quellen“ geführt habe, fünf Quellen im Bereich Islamismus und eine Quelle im Bereich Rechtsextremismus. Er hätte sich in dieser Gegend also nicht unbedingt aufhalten sollen. Das jedenfalls sei seine subjektive Einschätzung gewesen, sagt Andreas T. Außerdem befürchtete er Probleme mit seiner Frau. Er sei frisch verheiratet gewesen und seine Frau erwartete ein Kind. Da habe er Schwierigkeiten gesehen, ihr zu erklären, weshalb er nach der Arbeit in ein Internetcafé zum Online-Flirten war.

Richter glaubt angeblicher Unwissenheit des V-Mannes nicht

Richter Manfred Götzl lässt diese Erklärungen nicht gelten. Er bohrt immer weiter. „Die Frage stellt sich, warum sie sich hier raushalten wollten“, hält er dem Zeugen nach etwa einer Stunde vor. Der 46-Jährige betont erneut, nichts von der Tat bemerkt zu haben. Andernfalls wäre er zur Polizei gegangen. Götzl lässt nicht los. Er lässt den früheren V-Mann-Führer spüren, wie unwahrscheinlich seine Erklärungen klingen. Fast weinerlich betont der Zeuge, dass er selber auch immer wieder darüber gegrübelt habe, ohne eine Antwort zu finden.

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Nach gut einer Stunde Befragung folgt eine Pause. Götzl rät dem Zeugen, noch einmal über seine Aussagen nachzudenken. 20 Minuten später drängt der Richter weiter auf Antworten. Wieso konnte es zu einer solchen Fehleinschätzung kommen, will er wissen. Er hält dem Zeugen vor, dass der Mord und sein Besuch im Internetcafé ausgerechnet vor einem verlängerten Wochenende gewesen seien. Eigentlich müsse er sich daran erinnert haben. Doch Andreas T. hat darauf keine neue Antwort.

Richter bricht Befragung nach zwei Stunden ab

Götzl gibt sich nicht zufrieden. Der Verfassungsschützer gehörte mehrere Jahre zu einem Observationsteam. „Sie waren es gewohnt, Beobachtungen zu machen, diese zu konservieren und auch niederzulegen“, hält ihm der Richter vor. Dort sei gezielt beobachtet worden, lautet diesmal die Erwiderung des Zeugen. Er habe in dem Internetcafé nichts vom Mord an Halit Yozgat bemerkt.

Nach etwa zwei Stunden bricht Manfred Götzl seine Befragung ab und vertagt die Verhandlung. Andreas T. versichert den Opferfamilien sein Beileid. Götzl erklärt, dass die Befragung fortgesetzt werde. Denn die Frage, ob Andreas T. am 6. April 2006 wirklich nichts von dem Mord bemerkt hat, steht weiter im Raum. Er wäre der einzige der damals im Internetcafé Anwesenden gewesen.

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Bereits am Vormittag sagte Ismail Yozgat, der Vater des neunten Mordopfers aus. „Er gab keinen Laut von sich. Er hat nicht geantwortet“, ruft er vier Mal auf Türkisch im Gerichtssaal. Bei jedem Ausruf erregt sich der 58-Jährige mehr, wird lauter, steht auf und hebt flehentlich die Hände. Der Vater hatte seinen getöteten Sohn im Internetcafé gefunden. Er wollte den 21-Jährigen gegen 17 Uhr an diesem Tag ablösen, weil der Sohn noch zur Abendschule musste.

Straße des Tatorts soll nach Mordopfer benannt werden

Ismail Yozgat spricht von Märtyrern, wenn er die Todesopfer erwähnt, die vom Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) ermordet worden sein sollen. Der 58-jährige erregt sich darüber, wie seine Familie von der Polizei und den Behörden nach der Tat behandelt wurde, obwohl sie keine Straftaten begangen haben und nicht für den Mord verantwortlich gewesen seien. Er bittet das Gericht und alle Anwesenden ihm zu helfen, dass die Holländische Straße in Kassel, in der das Internetcafé gewesen war, nach seinem Sohn in Halit-Straße umbenannt wird.

Das Oberlandesgericht in München verhandelt seit Mai gegen Beate Zschäpe und vier weitere Angeklagte, weil diese im Verdacht stehen, die rechtsextreme Terrorzelle NSU gegründet oder unterstützt zu haben.