München. “Er ist in meinen Armen gestorben“: Beim NSU-Prozess hat am Montag Ali Tasköprü eindringlich geschildert, wie sein Sohn mit drei Kopfschüssen im Hamburger Lebensmittelladen das Leben verlor. Das Geschäft konnte die Familie nach dem Mord nicht mehr weiterbetreiben.
Mit bewegten Worten schildert der Vater des dritten NSU-Opfers am Montag vor Gericht den Tod seines Sohns Süleyman. "Er ist in meinen Armen gestorben", erzählt nur einen Tag nach seinem 67. Geburtstag Ali Tasköprü.
Süleyman Tasköprü wurde am 27. Juni 2001 in seinem Lebensmittelladen in Hamburg-Bahrenfeld kurz vor Mittag erschossen. Sein Vater war an diesem Tag etwa eine halbe Stunden unterwegs, weil er für das Geschäft noch Oliven besorgt wollte.
"Was wollten sie von meinem Sohn? Wieso er?"
Als er zurückkam, habe er zwei Männer im Alter zwischen 25 und 30 Jahren auf dem Bürgersteig vor dem Geschäft gesehen, sagte er der Polizei. Er konnte die Männer kaum beschreiben. Helle normal lange Haare und vielleicht T-Shirts als Kleidung, gab er während einer zweiten Vernehmung zwei Tage nach dem Mord bei der Polizei an. "Ich weiß nicht, ob es Kunden waren oder Passanten oder die Täter. Dann hätte ich sie erwürgt", sagte er gestern vor Gericht.
Als er an dem 27. Juni den kleinen Laden wieder betrat, sah er zuerst die schwarze Blutlache und fand dann seinen Sohn auf dem Boden liegend. Er habe dessen Kopf auf seinen Schoß genommen, beschreibt er die schreckliche Situation. Richter Manfred Götzl fragt behutsam nach Details. Ein Dolmetscher übersetzt für den Zeugen. Zwischen seinen Antworten fragt der Vater immer wieder: "Was wollten sie von meinem Sohn? Wieso er?"
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Angehörige können nicht mehr mit dem Laden leben
Süleyman Tasköprü hatte eine zweieinhalb-jährige Tochter. Das heute 15 Jahre alte Mädchen wuchs bei ihren Großeltern auf. Sechs Jahren sei seine Enkelin in psychiatrischer Behandlung gewesen, erzählt ihr Großvater. Das Geschäft wollte die Familie nach dem Mord nicht mehr weiterbetreiben. "Auch wenn ich wüsste, dass ich dort Gold verdienen würde, konnte ich nicht mehr mit in diesem Laden leben."
Von lauten Schreien berichtet eine weitere Zeugin. Die heute 36-jährige Türkin aus Hamburg wohnte damals in der Nähe des Tatortes. Sie habe den Vater schon von weitem gehört, wie er immer wieder aus dem Laden auf Türkisch gerufen habe "Gott, komm zu Hilfe".
Zschäpe schaut zumeist auf ihren Computer
Unter Tränen erinnert sich die Frau noch einmal daran, wie sie kurz in dem Geschäft gewesen sei und den Vater gesehen habe, mit seinem sterbenden Sohn im Schoß. An viele andere Details konnte sich die Frau nicht mehr erinnern. Süleyman Tasköprü beschreibt sie als freundlich. Sie habe ihn aus dem Laden gekannt.
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Beate Zschäpe, die Hauptangeklagte in dem Terrorprozess vor dem Oberlandesgericht in München, schaut während der Aussagen des Vaters und der Zeugen zumeist auf ihren Computer. Zu ihrer Verteidigung waren gestern nur die Anwälte Anja Sturm und Wolfgang Heer erschienen.
Drei Schüsse auf den Kopf
Der Mord an dem 31-jährigen Süleyman Tasköprü erinnert an eine Hinrichtung. Der Hamburger Gemüsehändler wurde mit drei Schüssen getötet: Von vorne in die Wange, von der Seite in den Hinterkopf und ein aufgesetzter Schuss auf den Hinterkopf.
Diesen Tatablauf sollen Schmauchspuren und die Eintrittswunde am Kopf des Opfers belegen, erklärt ein Gutachter vor der Staatsschutzkammer am Oberlandesgericht. Ob die Schüsse wirklich in dieser Reihenfolge abgegeben wurden, kann der 49-jährige Oberarzt am Institut Rechtsmedizin in München nicht mit Sicherheit sagen. Er bezeichnet den Verlauf aber als "plausibel".
Ermittler aus Nürnberg meldeten sich schnell in Hamburg
Bereits einen Tag nach der Tat meldeten sich bei den Hamburger Ermittlern Kriminalisten aus Nürnberg, erzählt ein weiterer Zeuge, der beim Landeskriminalamt in Hamburg arbeitet. Die bayerischen Beamten untersuchten damals zwei ähnliche Fälle, bei denen türkischstämmige Männer in Nürnberg kaltblütig erschossen worden waren.
Bilder zum NSU-Prozess
Bei dem Mord an dem Nürnberger Blumenhändler Enver Simsek am 9. September 2000 hatten Zeugen auch zwei Männer in unmittelbarer Tatortnähe gesehen. Allerdings verfolgten die Hamburger Ermittler die Spur der beiden Männer nicht weiter, weil die Aussagen des Vaters vom Mordopfer nicht konkret genug waren. Ob ein rechtsextremer Hintergrund jemals geprüft wurde, kann der Zeuge nicht sagen.
Der Hamburger Mord taucht im Bekenner-Video auf
Auch die beiden Morde in Nürnberg werden inzwischen dem NSU zugeschrieben. Es sollen die ersten von insgesamt neun fremdenfeindlichen Morde gewesen sein.
Der Hamburger Mord ist einer der Fälle, die auch auf dem NSU-Bekennervideo mit auftauchen. CDs mit dem Video waren unmittelbar nach dem Auffliegen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) am 4. November 2011 an mehrere Parteien und politische Organisationen verschickt worden. Auf dem Video ist ein Foto zu sehen, das den Hamburger Tatort mit dem Toten offenbar vor dem Auffinden des Opfers durch seinen Vater und vor dem Eintreffen der Rettungskräfte zeigt.