Berlin. . Angela Merkel ist auf dem Höhepunkt ihrer bisherigen Karriere. An ihr als Kanzlerin führt nach der Wahl kein Weg vorbei. Die FDP ist in der Regierung neben ihr abgestürzt. Rot-Grün hat keine Chance. Es läuft auf eine große Koalition hinaus. Die Wahlnacht in der Übersicht
Nervenzerfetzend - undramatischer ist der Wahlabend kaum zu beschreiben. Die Union von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erzielt nach Hochrechnungen ihr bestes Ergebnis seit der Wiedervereinigung, kann aber wegen des historischen Absturzes der FDP ihre schwarz-gelbe Wunschkoalition nicht fortsetzen. Um die Fünf-Prozent-Hürde geht es auch für die Alternative für Deutschland - allerdings in umgekehrter Richtung - ob sie aus dem Stand den Sprung ins Parlament schafft. Die SPD von Kanzlerkandidat Peer Steinbrück legt nach dem 23-Prozent-Trauma von 2009 etwas zu, kann aber Merkel nicht vom Thron stoßen. Auch Grüne und Linke, beide mit klaren Stimmenverlusten, können dazu nichts beitragen.
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" Oh wie schön" und "Angie, Angie" singen, ja brüllen die Unionsanhänger in der CDU-Parteizentrale in Berlin. Als der schwarze Balken für CDU und CSU um 18 Uhr in die Höhe von 42 Prozent schnellt, fällt die Anspannung eines monatelangen Wahlkampfes bei ihnen ab. Zuletzt konnten sie so 1990 mit Helmut Kohl feiern, im Jahr der Wiedervereinigung. Ihr Star heute: Angela Merkel. Mit der Nähe zur absoluten Mehrheit ist die Kanzlerin ihre Königin. Sollte Merkel allerdings doch wieder einen Koalitionspartner brauchen, ist fraglich, wer sich das nach den Desastern der SPD 2009 und der FDP 2013 dann noch traut.
Gewinner und Verlierer
Unter Merkels Parteivorsitz seit 2000 ist die CDU weit in die Mitte der Gesellschaft gerückt: Atomausstieg, Ende der Wehrpflicht, moderneres Familienbild, Mindestlöhne. Der Lohn 2013: Mit weitem Abstand stärkste Volkspartei, keine Wechselstimmung. Die Menschen glauben auch, dass Merkel in der Eurokrise das Geld der Steuerzahler zusammenhält. Merkel dankt den Wählern für das Vertrauen und sagt: "Wir werden damit verantwortungsvoll und sorgsam umgehen."
Fassungslosigkeit bei den Liberalen
Fassungslosigkeit bei der FDP. Oft Regierungspartei gewesen, stürzt die FDP nach vielen parteiinternen Turbulenzen während der Koalition mit der Union das erste Mal in der Nachkriegsgeschichte unter die Fünf-Prozent-Hürde. Ihre Bitte an die Wähler um die Zweitstimme glich einem Betteln. Wer Merkel wolle, müsse FDP wählen, war der Slogan. Dann wählten die Menschen lieber gleich Merkel beziehungsweise die CDU. FDP-Chef Philipp Rösler konnte sich weder in der FDP noch als Vizekanzler als starke Persönlichkeit behaupten.
Die Wahlparty in Berlin wirkt wie eine Trauerfeier für eine geschichtsträchtige Partei, für die die parlamentarische Verankerung im Bundestag für die nächsten vier Jahre gestorben ist. Parteichef Philipp Rösler und Spitzenkandidat Rainer Brüderle deuten ihren Rücktritt an. Brüderle versucht den Parteimitgliedern Mut zu machen: "Das ist nicht das Ende der Partei."
Absturz nach 60 Jahren - Die Geschichte der FDP
Steinbrück hört sich schon nach Abschied an
Immerhin, Peer Steinbrück hat trotz aller Pannen im Wahlkampf von Kanzlergehaltsdebatte bis Stinkefinger die SPD wieder etwas stärken können. Von seinem Ziel, Kanzler einer rot-grünen Koalition zu werden, blieb er aber politische Lichtjahre entfernt. SPD-Chef Sigmal Gabriel fasst das so zusammen: "Ja, wir haben zugelegt, aber wir haben uns mehr erwartet." Gabriel und viele führende SPD-Politiker gratulieren Merkel zu ihrem Sieg.
Man spürt aber den Schock der Sozialdemokraten, dass Merkel sich es so klar aussuchen kann, wen sie mit in ein Regierungsboot holen würde. Steinbrück hat Rot-Rot-Grün, aber für sich persönlich auch eine große Koalition ausgeschlossen. Aber er sagt: "Der Ball liegt im Spielfeld von Frau Merkel." Was wohl so viel heißt wie: die SPD ist gesprächsbereit - auch wenn sie aus der großen Koalition unter Merkel von 2005 bis 2009 geschröpft hervorgegangen war. Steinbrück ruft seinen Leuten zu: "Es war ein fantastischer Wahlkampf." Es hört sich nach Abschied ab.
Die Grünen: Tief gefallen - gemessen an den Erwartungen
Die Grünen sind wieder einstellig und fallen damit tief, weil sie in Umfragen zeitweise bei 15 Prozent gelegen hatten. Das Ergebnis ist für die Öko-Partei eine tiefe Enttäuschung. Mit ihrem Wahlkampf mit Steuererhöhungen für Besserverdienende haben sie sich wohl ins eigene Fleisch geschnitten. Besser hätten sie auf ihr ureigenstes Thema setzen sollen, sagen Parteianhänger - der Umweltpolitik. Die von Union und FDP nur schleppend vorangebrachte Energiewende hätte dazu genug Stoff gegeben. Und nun? Schwarz-Grün? Parteichefin Claudia Roth sagt, es gehe um Inhalte, nicht um numerische Mehrheiten. Mit der Union gebe es wenig Schnittmengen. Aber reden könne man schon, meint Geschäftsführerin Steffi Lemke.
Die Linke - kann auf die SPD warten
Auch die Linke ist wieder einstellig und verfehlt damit das Ziel von Bundestagsfraktionschef Gregor Gysi, der mehr als zehn Prozent erreichen wollte. Dennoch ist die Partei zufrieden. Am Abend sieht es so aus, dass sie erstmals drittstärkste Kraft im Bundestag werden könnte - vor den Grünen. "Wer hätte vor wenigen Monaten gedacht, dass wir uns mit den Grünen ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern", sagt Parteichef Bernd Riexinger. Die Co-Vorsitzende Katja Kipping spricht von einem "ganz großartigen Tag für die Linke". Sie ist für die Opposition gebucht, weil niemand mit ihr koalieren will. Gysi setzt darauf, dass sich das während der nächsten Wahlperiode ändert. Denn wenn die SPD einmal wieder den Kanzler stellen will, wird sie das vermutlich nur in einem rot-rot-grünen Bündnis können.
AfD - eine neue Volkspartei?
"Wir sind eine neue Volkspartei", sagt der Vorsitzende der eurokritischen Alternative für Deutschland, Bernd Lucke. Erst im April hat sich die Partei gegründet und versammelt Bürger, die dem Euro als Gemeinschaftswährung keine Chance geben. Viele von ihnen wollen zur D-Mark zurück. Vize-Parteichefin Frauke Petry ist überzeugt, dass ihre Partei künftig mehr Gewicht in der Bundespolitik erhalten wird. "Deutschland ist mit der AfD blau geworden", sagte sie in Bezug auf die Farbe der Partei. "Wir sind aus der politischen Szene in Deutschland nicht mehr wegzudenken." Da liegt die AfD in den Hochrechnungen bei 4,9 Prozent. (dpa)