Berlin. . Die Initiative von Bundesarbeitsministerin von der Leyen, die Erreichbarkeit ihrer Mitarbeiter zu begrenzen, geht der Gewerkschaft nicht weit genug. Sie müsse alle Beschäftigten schützen, nicht nur die Staatsbediensteten. Einige Betriebe treten bereits freiwillig auf die Kommunikationsbremse.
Das Bundesarbeitsministerium will seine Mitarbeiter nach Dienstschluss nur noch in Ausnahmefällen per Handy oder E-Mail stören. Darauf haben sich der Personalrat und die Leitung des Hauses verständigt. Entsprechende Vereinbarungen gibt es bereits in Teilen der Wirtschaft. So gehen Konzerne wie etwa VW oder die Telekom seit geraumer Zeit gegen die E-Mail-Flut und störende Telefonate am Feierabend vor.
Nach dem Kodex, der für 1100 Staatsdiener im Arbeitsministerium gilt, soll niemand benachteiligt werden, der außerhalb der Arbeitszeit sein Handy ausschaltet oder Nachrichten nicht abhört. „Niemand, der über einen mobilen Zugang und ein Handy verfügt, ist außerhalb der individuellen Arbeitszeit verpflichtet, diese zu nutzen“, heißt es in dem Papier, aus dem die „Süddeutsche Zeitung“ zitiert. „Eine Selbstausbeutung der Beschäftigten soll vermieden werden.“ In ihrer Freizeit sollen die Mitarbeiter nur dann gestört werden dürfen, wenn die Aufgaben „unaufschiebbar“ seien, nicht bis zum nächsten Dienstbeginn warten könnten oder den „Charakter einer Ausnahmesituation“ hätten.
Keine vergleichbaren Regelungen in anderen Bundesministerien
In den anderen Bundesministerien liegen bislang keine vergleichbaren Regelungen vor. Damit sind diese nicht alleine. Nach einer Studie des Verbandes Bitkom gibt es in 62 Prozent aller Betriebe in Deutschland keinerlei Vorgaben, wann Mitarbeiter elektronisch erreichbar sein sollten und wann nicht. So sind gut drei Viertel aller Beschäftigten nach Dienstschluss ansprechbar, knapp ein Drittel sogar „jederzeit“. Doch das kann Risiken für die Arbeitnehmer bergen. So hat der Gesundheitsreport NRW der DAK ergeben, dass die ständige Erreichbarkeit depressiv machen kann.
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DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach lobte gestern den Kodex des Arbeitsministeriums. Hauptaufgabe von Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) sei es jedoch, „auch alle anderen Beschäftigten vor schlechten Arbeitsbedingungen und psychischen Belastungen zu schützen“, sagte Buntenbach unserer Zeitung. Verhaltenes Lob kam auch von dem Berliner Stressforscher Mazda Adli: Der psychischen Gesundheit der Mitarbeiter sei der Kodex zuträglich. „Aber das allein reicht nicht aus“, sagte Adli. Es sei weniger die dauernde Erreichbarkeit, die Arbeitnehmer krank mache, sondern zu wenig Gestaltungsspielraum im Job und fehlende Anerkennung.
Die Folgen der Dauer-Erreichbarkeit für die Gesundheit
Für viele Beschäftigte gehört es längst zum lästigen Alltag: Man hat Feierabend, doch dann klingelt das Diensthandy. Oder es flattern E-Mails von der Arbeit auf den Rechner. Fast jeder dritte Arbeitnehmer ist laut Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien inzwischen permanent erreichbar. Doch das kann für zu mehr Stress führen, die Leistung mindern und die Gesundheit gefährden.
So war es die DAK, die in ihrem Gesundheitsreport NRW im Frühjahr Alarm geschlagen hat. Sie warnte vor dem Risiko einer Depression, wenn der Beschäftigte in der Freizeit von seinem Arbeitnehmer kontaktiert wird. Von psychischen Belastungen durch E-Mails und Anrufe zur Unzeit berichtete 2012 auch der Fehlzeiten-Report der AOK. Demnach war die Anzahl der Versicherten, die wegen psychischer Erkrankungen in Behandlung sind, seit 2004 um 40 Prozent gestiegen. E-Mails nach Dienstschluss könnten ein Grund dafür sein.
VW hat bereits die "Blackberry-Pause" eingeführt
Nicht umsonst treten immer mehr Konzerne inzwischen auf die Kommunikationsbremse. VW hat Ende 2011 etwa eine „Blackberry-Pause“ eingeführt. 30 Minuten nach Arbeitsende bekommen die Beschäftigten keine Mails mehr auf ihre Diensthandys zugestellt. Erst 30 Minuten vor Dienstbeginn erhalten sie elektronische Botschaften. Die Telekom hat 2010 klargestellt, dass Mitarbeiter außerhalb der Arbeitszeit nicht auf E-Mails und Anrufe reagieren müssen.
Ähnliche Vorgaben gibt es bei BWM, Eon oder Puma. Bei Daimler können die Mitarbeiter ihre E-Mails während ihres Urlaubs löschen lassen – um nicht unter einem Berg von elektronischer Post begraben zu werden. Denn diese nimmt immer mehr zu. So wurden 2012 weltweit 89 Milliarden geschäftliche Mails am Tag verschickt. 2016 sollen es schon 144 Milliarden sein.
Arbeitsministerium hat die Reißleine gezogen
Nun hat das Arbeitsministerium nach langen Verhandlungen mit dem Betriebsrat die Reißleine gezogen. Künftig dürfen die Staatsdiener dort nur noch im Notfall gestört werden. Für viele Mitarbeiter sei es enorm wichtig gewesen, zu wissen, „wann sie erreichbar sein müssen und wann nicht“, sagte Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) der Süddeutschen Zeitung. „Diese Klarheit haben sie nun schwarz auf weiß.“
In den übrigen Bundesministerien gelten es keine vergleichbaren Regeln. Sprecher des Wirtschafts- und des Innenministeriums erklärten, normalerweise würden Mitarbeiter nur in Ausnahmefällen in ihrer Freizeit gestört. Im Kanzleramt gebe es „keine allgemeine Verpflichtung, ständig erreichbar zu sein“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.
Kritik kommt vom Gewerkschaftsbund
Dem Deutschen Gewerkschaftsbund geht der Kodex im Arbeitsministerium nicht weit genug. Von der Leyen solle alle Beschäftigten vor psychischen Belastungen schützen. „Die Gewerkschaften haben hierfür Vorschläge wie eine Anti-Stressverordnung unterbreitet, die Frau von der Leyen leider nicht aufgegriffen hat“, sagte DGB-Vorstand Annelie Buntenbach.
Immerhin hat die permanente Präsenz nicht nur ihre negativen Seiten, wie aus einem Report der Initiative Gesundheit und Arbeit (iga) hervorgeht. So sind Beschäftigte mitunter gerne erreichbar, weil sie sich damit für flexibler oder mobiler halten. „Dabei ist aber das Maß der Selbststeuerung oder der Fremdsteuerung entscheidend“, warnt die Initiative.