Washington. Derzeit scheint alles auf einen Angriff der USA in Syrien hinzuweisen. Doch wenn Barack Obama nach dem mutmaßlichen Giftgas-Einsatz seine Raketen losschicken sollte, geht es ihm nicht ums Volk, sondern um die Gesichtswahrung - denn Assad würde nur ein Kriegseinsatz im Großformat stoppen, davon ist unser Autor überzeugt.

Fangen wir mit dem Nichtgesagten an. Es ist manchmal aussagekräftiger. US-Präsident Obama schickt keine Raketen nach Syrien, um das fortgesetzte Töten im missbrauchten Namen Allahs und die seit zwei Jahren währende Vertreibung von Hunderttausenden Zivilisten zu beenden.

Er lässt keine Bomben fallen, um Schlächter, die eine Religion gekapert haben, davon abzuhalten, im Herzen des Nahen Ostens Taliban-ähnliche Terrornester zu errichten.

Er entfacht nicht die gewaltigste Feuerkraft auf Erden, um Syrien zu einem besseren Ort zu machen, Assad an den Verhandlungstisch zu bomben oder den üblich verdächtigen Nein-Sagern Russland, China und Iran zu zeigen, dass er mehr kann als unverdient Friedensnobelpreisträger zu sein.

Obama maßregelt Syriens Präsident Assad

Amerikas Präsident maßregelt unter Umgehung des notorisch unkooperativen UN-Sicherheitsrates das unerziehbare Schmuddelkind Assad, weil es ultimativ über die Stränge geschlagen hat. Und der globale Klassensprecher Amerika seine Autorität akut bedroht sieht.

Aus der sicheren Distanz von Kriegsschiffen im östlichen Mittelmeer oder aus hoch fliegenden Bomben-Frachtern soll Assad binnen weniger Tage Mores gelehrt werden für einen Tabubruch, den sich in vergleichbaren Dimensionen vor 25 Jahren Saddam Hussein mit den Kurden in Halabscha leistete.

Normverletzung Chemiewaffen, also, ein Verstoß gegen die Prinzipien der Menschlichkeit. Was die eigentlich verbotene Frage aufwirft: Sind 1000 oder 1300 an teuflischen Gasen erstickte Menschen wertvoller als über 100.000, denen im täglichen Straßenkampf in Kopf, Herz oder Rücken geschossen wurde?

Obamas Argumentations-Stränge für einen möglichen Syrien-Angriff

Obamas Kern-Argument für das, was beinahe unaufhaltsam kommt in Syrien, hat drei Stränge:

- Ein Denkzettel per Luftangriff auf militärische Infrastruktur wird Assad davon abhalten, erneut Giftgas einzusetzen.

- Wenn der nächste Despot auf die Idee kommen sollte, es dem Syrer gleich zu tun, wird er das Risiko doppelt abwägen.

- Wenn Amerika nicht jetzt seine Ordnungshüter-Rolle wahrnimmt und auf Einhaltung global gültiger Konventionen pocht, wird sich die unheilvolle Dynamik fortentwickeln und den gesamten Nahen Osten unbeherrschbar machen.

Dazu ist zu sagen: Denkzettel-Raketen im Stundenpensum auf wenige militärische Ziele zu lenken, ist so zu tun als ob. Ist Ersatzbefriedigung. Gleichwohl tödlich, weil die Mär vom chirurgischen Eingriff, der Zivilisten verschont, bekanntlich schon bei den zahlreichen Drohnen-Angriffen gegen Islamisten nicht mehr ist als - eben eine Mär.

Stoppen würde Assad nur ein Kriegseinsatz im Großformat

Assad kämpft mit allen abscheulichen Mitteln um das Überleben seiner Entourage. Ein paar Dutzend fliegende Kriegsbeile (Tomahawk-Marschflugkörper) wird er verschmerzen.

Stoppen würde ihn und jeden anderen potenziell kaltblütigen Massenmörder allein ein Kriegseinsatz im Großformat. Dabei müssten die Giftgas-Vorräte gesichert und unter internationalem Schutz unschädlich gemacht werden. Heißt Bodentruppen in fünfstelliger Zahl. Heißt langjährige Besatzung. Heißt viele Opfer auf allen Seiten. Heißt Billionen von Dollar. Möglichst breit international mitfinanziert und moralisch getragen. Exakt das, was die amerikanischen Wahlbürger (und auch die Menschen in den meisten Ländern der Europäischen Union) nie absegnen würden. Sie haben Irak und Afghanistan aus verständlichen Gründen bis heute nicht einmal ansatzweise verdaut.

Was jetzt in der Pipeline steckt, soll Assad ein Denkzettel sein, aber auf keinen Fall die uneinheitlich und schwer berechenbaren Aufständischen/Rebellen/Oppositionellen in Vorderhand bringen. Bomben sollen fallen, aber nicht das Patt. Wie zynisch ist das denn? Schon diese Laviererei allein ist Garant für ein unheilvolle Dynamik. Und der Beleg für ein beunruhigendes Strategie-Vakuum.

Eine sachverständige Folgenabschätzung fehlt bisher

Weder gibt es bis heute eine sachverständige Folgenabschätzung. Noch ist erkennbar, wie die USA reagieren werden, wenn Assad mit Helfershelfern von Teheran bis Hisbollah weiter morden lässt und/oder die Anrainer-Staaten ebenfalls ins Verderben zieht.

Was bleibt, ist die trübste aller Aussichten, die man Obama vor einigen Monaten noch nicht zugetraut hätte: Amerika wird in Kürze die kinetische Moralkeule schwingen, um ihrem Commander-in-Chief nach zweijährigem Zaudern und Zögern einen Gesichtsverlust zu ersparen.

Tragisch. Dabei hatte die Aussicht, in wenigen Tagen beim G 20-Treffen in St. Petersburg Gastgeber Wladimir Putin im eigenen Land vor den Augen aller Welt vorzuführen, indem seine menschenverachtende Nibelungentreue zu Assad als isolierte Einzelmeinung im Konzert der Großen erscheint, durchaus Charme.