Duisburg/Münster. . Ein Todesfall in einem Duisburger Krankenhaus war der Anlass zur Gründung einer Selbsthilfegruppe. Die 82-jährige Dagmar Tysiak kämpft dafür, dass niemand mehr so stirbt wie ihr Mann. Zeitgleich arbeiten die Behörden auf allen Ebenen das Informationschaos um Klinik-Meldungen des gefährlichen Krankenhaus-Keims auf.
Das Landeszentrum Gesundheit (LZG) reagiert auf das Datenleck in Duisburg, durch das zahlreiche MRSA-Infektionsfälle nicht in der Landesstatistik auftauchen. Alle Kommunen in NRW wurden jetzt dazu aufgefordert, ihre MRSA-Meldungen „auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu prüfen“. Durch Recherchen der WAZ war das Datenleck aufgeflogen.
19 Erkrankungen mit dem lebensgefährlichen Bakterium hatte das Duisburger Gesundheitsamt zwischen 2010 und 2012 nicht an das LZG in Münster gemeldet.
„Um ähnliche Fehler bei der Erfassung von MRSA-Fällen auszuschließen“, veranlasste das LZG jetzt die interne Prüfung in den 60 Gesundheitsämtern des Landes. Deren Pflicht sei es, bei allen MRSA-Fällen „den Transfer an die Landesstelle sicherzustellen“.
Auf Anfrage der WAZ äußerte sich auch die Stadt Duisburg. „Angesichts der Gefährlichkeit multiresistenter Keime ist es zwingend erforderlich, dass die Meldepflicht eingehalten wird“, sagte Gesundheitsdezernent Ralf Krumpholz und kündigte eine interne Prüfung an.
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Kleine Gruppe mit großem Anliegen
Dagmar Tysiak gab ihrem Mann auf dem Sterbebett ein Versprechen. „Glaube mir, ich werde etwas tun, damit andere vor so einem Schicksal bewahrt werden.“ Paul Tysiak hatte einen MRSA-Keim im Körper. Das Bakterium vergiftete sein Blut. Nach seinem Tod in einem Duisburger Krankenhaus gründete Dagmar Tysiak eine Selbsthilfegruppe für MRSA-Betroffene. „Wenn Sie gesehen haben, wie so ein Mensch stirbt, dann werden Sie das nie wieder los“, sagt die 82-Jährige.
Der Selbsthilfekreis (Kontakt: Tel. 0203-355886) ist eine kleine Gruppe mit einem großen Anliegen. Die Forderungen: „Eine erweiterte Meldepflicht von MRSA, eine bessere Krankenhaushygiene, ein flächendeckendes MRSA-Screening bei der Klinikaufnahme, eine größere Sensibilisierung der Öffentlichkeit.“
Letzteres sieht Dagmar Tysiak von den Verantwortlichen selbst torpediert. 2012 habe sie den zuständigen Abteilungsleiter des Gesundheitsamtes zu Gast gehabt – und nach dessen Rede „das Gefühl, dass ein Schnupfen gefährlicher ist als der MRSA-Keim“. Dagmar Tysiak sieht „das Thema von oben heruntergespielt“.
Mindestens 19 Fälle fielen in Duisburg unter den Tisch
Mindestens 19 Mal wurde es gar nicht gespielt. 2010, 2011 und 2012 fielen im Duisburger Gesundheitsamt 19 meldepflichtige MRSA-Infektionen unter den Tisch, die das Landeszentrum Gesundheit (LZG) in Münster hätten erreichen müssen. Dass die Fälle nicht in der MRSA-Landesstatistik ankamen, ärgert die Erfassungsbehörde. Wohl auch deshalb, weil der Fehler erst der WAZ auffiel. Die 60 Gesundheitsämter in NRW müssen jetzt nachsitzen und überprüfen, ob sie ihre MRSA-Fälle korrekt und vollständig gemeldet haben.
Auch die Stadt Duisburg prüft ihre Amtsabläufe. Es sei „zwingend erforderlich, dass die erhobenen Daten sorgfältig aufbereitet, verwahrt und an die entsprechenden Behörden weitergeleitet werden“, sagt Gesundheitsdezernent Ralf Krumpholz. Die Stadt gehe dem MRSA-Datenschwund nach und werde, je nach Ergebnis, „entsprechend reagieren“.
Skalpell auf dem Fußboden
Über 100 Zuschriften von WAZ-Lesern schildern schlimme Zustände in Kliniken. Fälle wie diesen: Fäden ziehen nach der OP. Eine Schwesternschülerin tritt ans Krankenbett. Dabei fällt ihr – „uups!“ – das Skalpell zu Boden. Sie hebt es auf und will es trotzdem benutzen. Die Patientin protestiert. Die Auszubildende versteht nicht, warum. „Sie war der Ansicht, da kann überhaupt nichts passieren“, berichtet die Patientin. Erst als sie sich energisch widersetzt, ist die Schwesternschülerin bereit, das Skalpell zu desinfizieren.
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