Duisburg. . Mit schwerer Raucherlunge kommt Rainer F. (57) ins Duisburger Helios-Klinikum St. Johannes. Dort infiziert er sich zusätzlich mit dem lebensgefährlichen Keim MRSA und stirbt. Seine Angehörigen berichten von „unwürdigen Zuständen und mangelnder Hygiene auf der Intensivstation“. Haben die mit dem Tod von Rainer F. zu tun? Helios schweigt.

Als Rainer F. schon tot im Bett des Helios-Klinikums St. ­Johannes liegt, rechnet die Familie daheim noch mit seiner baldigen Rückkehr. „Es ging ihm besser, er sollte verlegt werden“, sagt Tochter Monique. Der 57-jährige hatte sich mit dem lebensbedrohenden Keim MRSA infiziert.

Die Familie spricht von „unwürdigen Zuständen und mangelnder Hygiene auf der Intensivstation“. Dazu schweigt die ­Klinik. Unabhängig vom Fall Rainer F. räumt Helios ein, „dass in Duisburg hinsichtlich der Entwicklung der Infektionen Handlungsbedarf besteht“. Ob dieser Bedarf beim Tod von Rainer F. eine Rolle gespielt hat, sagt die Klinik nicht.

MRSA-Keime können kaum behandelt werden

MRSA ist ein sogenannter ­Krankenhauskeim. Ein Bakterium, das nicht auf viele Antibiotika anspricht. Das kaum behandelt werden kann, das oft den Tod bringt. Die Medizin hat noch kein Patentrezept dagegen. MRSA kommt nicht ausschließlich in Kliniken vor. Aber vor allem dort kann der Keim in offene Wunden gelangen und ­verheerende Folgen haben. Strenge Hygiene gilt als einzige Vorbeugung gegen MRSA-Befall. Das Robert-Koch-Institut (RKI) empfiehlt klinische Standards: mindestens Atemmaske, Schutzkittel und gründliche Handdesinfektion.

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Doch in Duisburg scheint etwas schief zu laufen. Aus Unterlagen, die der WAZ vorliegen, geht hervor: In Duisburg schnellen die MRSA-Fälle in die Höhe. Zwölf Kliniken haben mit MRSA-Infektionen zu tun. Fast 50 Prozent aller Krankheitsfälle in der Stadt werden aus den drei Helios-Kliniken gemeldet. davon wiederum die Hälfte aus St. Johannes. Das Krankenhaus steht an der Spitze der Keimrangliste.

Infektion nach Luftröhrenschnitt

Monique Müller wundert das nicht. Die junge Frau hat selbst Kranke versorgt, in der Altenpflege. „Was ich an Missständen bei der Hygiene und Betreuung in St. Johannes ­erlebt habe, werde ich mein Leben lang nicht vergessen“, sagt sie.

Rainer F., ihr Vater, hat eine schwere Raucherlunge. Als er am 22. Februar kaum Luft bekommt, kommt er ins Krankenhaus. Seine Frau willigt ein, notfalls einen Luftröhrenschnitt bei ihrem Mann zu machen. Der Eingriff erfolgt am 28. Februar. Er sei „komplikationslos“ verlaufen, steht im Bericht der behandelnden Ärzte. Dieser Bericht liegt der WAZ vor. Er belegt: Nach dem Eingriff ist Rainer F. mit multiresistenten Keimen infiziert, die er vorher nicht hatte. MRSA wird zweimal nachgewiesen: im Bronchialsekret und in der Blutkultur.

Elf MRSA-Infektionen in St. Johannes bis Mitte Juni 

Rainer F. ist ein Einzelfall, aber nicht der einzige Fall dieser Art. Elf Patienten haben sich 2013 bis Mitte Juni in St. Johannes mit MRSA infiziert. Rund ein Viertel der 48 gemeldeten MRSA-Fälle in Duisburg ­gehen damit auf das Konto dieser Klinik. Wie viele Todesfälle mit den MRSA-Infektionen verbunden sind, ist nicht bekannt. Auf Anfrage der WAZ sagt Helios nichts dazu.

Rainer F. bekommt eine Komplexbehandlung gegen multiresistente Erreger. Eine Woche nach dem Luftröhrenschnitt wird es kritisch. Mageninhalt ergießt sich in die Atemwege. Der Arztbericht belegt eine Lungenentzündung und eine Bakterienschwemme im Blut: eine „Bakteriämie durch MRSA und VRE“, einen weiteren multiresistenten Keim, den sich Rainer F. geholt hat.

Antibiotika schienen Erfolg zu bringen

Die Ärzte stellen die Antibiotikatherapie um. Scheinbar mit Erfolg. Rainer F. bekommt besser Luft. Die künstliche Beatmung wird gedrosselt. Der Patient soll verlegt werden. Er wird in einer Fachklinik angemeldet, wo er aus eigener Kraft ­wieder atmen lernen soll.

48 Stunden vor seinem Tod ist Rainer F. guter Dinge. Er scherzt mit dem Schwiegersohn. Es geht nur um eine Frage: „Wann bin ich ­wieder zu Hause?“

Einen Tag später erkennt Monique Müller ihren Vater kaum ­wieder. Rainer F. ist aus dem Bett ­gefallen, auf der Intensivstation. Die Tochter erfährt das zunächst nicht vom Stationspersonal, sondern durch den Vater, der ihr unter großen Schmerzen erklärt, was passiert ist. Später bestätigt eine Ärztin der Tochter den Zwischenfall. Im Arztbericht steht nichts von dem Sturz. Fünf der letzten sechs Tage im ­Leben des Rainer F. kommen in dem Bericht nicht vor. Warum nicht? Helios sagt nichts dazu.

Tochter beklagt mangelnde Hygiene auf der Intensivstation

Am nächsten Morgen ringt der 57-Jährige mit dem Tode. ­Geschwächt, wie er ist, ist es ein ­kurzer, ungleicher Kampf. Sep­tischer Schock, Herzstillstand. ­Reanimationsversuche scheitern. Die lebenswichtigen Organe ver­sagen. Rainer F. stirbt.

Auf gezielte Fragen der WAZ nach dem Hygienestand in ­St.Johannes schickt Helios Material. Es sind Präsentationen für Presseworkshops zum Thema Hygiene, haus­gemachte Werbung. Darin schneidet der Konzern gut ab, auch bei MRSA. Doch in Duisburg ist davon wenig zu sehen.

In der St. Johannes-Klinik sieht Monique Müller „Schwestern, die draußen rauchen, sich einmal die Hände desinfizieren und dann am Intensivbett stehen – ohne Kittel, ohne Mundschutz“. Besucher ­hätten Mundschutz, Kittel, Handschuhe, manchmal sogar Kopf­haube getragen. „Aber was bringt das, wenn der Pizza-Bote das Essen ohne Schutzmaßnahmen direkt auf die Intensivstation bringt?“

34 Fragen – und keine beantwortet

Ob dem so ist und wie das dann zur „Konzernregelung Hygiene“ passe, die „für unsere Kliniken und ­Mitarbeiter bindend“ sein soll, lässt Helios offen. Statt des Hygiene-Leitfadens bekommt die WAZ ein Inhalts-, Literatur- und Abkürzungsverzeichnis geschickt. „Aus Gründen des Urheberrechtsschutzes“ dürfe nicht mehr öffentlich werden. Helios verweist auf Untersuchungen von Risikopatienten, freiwillige Meldungen an das Gesundheitsamt und Infektionszahlen im Internet.

Die WAZ hakt nach, konfrontiert Helios mit sämtlichen offenen Fragen und Vorwürfen der Hinterbliebenen von Rainer F. Seine Witwe hat Helios von der Schweigepflicht ­entbunden. 34 konkrete Punkte werden abgefragt, nicht einen davon beantwortet das Unternehmen.

„Zu Fragen in dieser Detailtiefe, die einen Todesfall in unserer Klinik betreffen, werden wir uns nicht ­äußern“, sagt ein Sprecher.

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