Duisburg. Im Duisburger Gesundheitsamt fehlen die Akten zu vier gemeldeten MRSA-Infektionen. Das belegen Unterlagen. Die MRSA-Akten wurden offenbar ersatzlos gelöscht. Von 2010 bis 2012 hat die Behörde zudem einige MRSA-Daten nicht in an das Landeszentrum für Gesundheit (LZG) in Münster übermittelt.

Wie mag es dem Patienten Nr. 18636 des Gesundheitsamtes Duisburg ergangen sein, nach dem 13. Dezember 2010 – jenem Tag, an dem festgestellt wurde, dass er MRSA hat? Trug er den Keim auf der Haut oder im Blut? Welche Symptome zeigte er? Die Behörde, die seinen Befund kennen müsste, weil ihr alle Infektionen in der Stadt gemeldet werden, weiß es nicht. Ihre Dokumente über den MRSA-Patienten, der damals 50 bis 54 Jahre alt war, sind weg. Irgendwie untergegangen. Still und leise. Im amtlichen Aktensumpf.

Nicht nur Patient Nr. 18636 versank darin. Auch zwei betagte Damen, damals in den Altersgruppen über 70 und über 85, und ein Herr, Anfang achtzig – die MRSA-Fälle Nr. 16451, Nr. 18661, Nr. 18166. Ohne die WAZ wäre nicht aufgefallen, dass sie unbeschriebene Blätter in der städtischen Keimdatenbank sind. Sind sie aber. Im Gesundheitsamt gibt es keine Unterlagen über ihre Erkrankungen. Das Einzige, was die Behörde darüber weiß: „Dass es sich in irgendeiner Form um eine Meldung zu einem MRSA-Fall handelte“.

Der MRSA-Keim ist resistent gegen die meisten Antibiotika

Die WAZ-Recherche dazu beginnt im Mai. Auslöser: Hinweise auf ungewöhnlich viele Infektionen mit dem lebensbedrohenden Bakterium MRSA in Duisburg. Der Keim ist resistent gegen die meisten Antibiotika. Gelangt er in offene Wunden, endet das oft tödlich. Vor allem geschwächte Menschen überleben selten eine Infektion.

Auf Anfrage schickt das Gesundheitsamt eine erste Statistik. Danach sind bereits Ende April 40 MRSA-Fälle in Duisburg gemeldet, halb so viele wie 2012. Das liefe auf eine Rekordinfektionszahl am Jahresende hinaus. Es wäre eine Entwicklung gegen den NRW-Trend, denn landesweit fallen die Zahlen. Die WAZ will nun alle MRSA-Fälle sehen, beantragt Akteneinsicht, bekommt diese auch, nach einigem Hin und Her mit der Stadt.

Einige MRSA-Akten fehlen

Der kommissarische Leiter des Duisburger Gesundheitsamtes, Georg Vogt, bringt die gesammelten MRSA-Unterlagen in Essen vorbei. Eine ihm vorgelegte Erklärung über die Vollständigkeit der Dokumente unterschreibt er nicht. Der Grund zeigt sich schon bei der ersten Durchsicht des städtischen Papierberges: Das Material ist nicht komplett. Unterlagen über einige MRSA-Fälle fehlen.

Vogt weiß das. Es ist ihm unangenehm. Er ruft in der Redaktion an, sagt, „dass ein paar Akten fehlen, fünf oder sechs, die wir einfach nicht finden konnten.“ Es sei „ein bisschen doof für die Behörde, dass die Akten weg sind“, aber nicht zu ändern. Offenbar seien die Unterlagen „ersatzlos gelöscht worden“.

Duisburger MRSA-Fälle kommen nicht in Münster an

Im Juni wird im Gesundheitsamt der Keller auf den Kopf gestellt. Nicht ohne Erfolg: Einige verschollene MRSA-Fälle tauchen plötzlich wieder auf. Fast jeder Tag bringt nun eine neue Datenlage. Das Amt streckt sich, fragt einen Ex-Mitarbeiter im Ruhestand um Rat. Der weiß auch nicht weiter. Zwischenzeitlich fehlen nur noch drei Erkrankungsfälle, am Ende sind es dann vier.

Die Behörde kennt Nummer, Name und Alter der Betroffenen, auch die Daten der MRSA-Nachweise im Labor: Zwei Meldungen stammen vom 13. Dezember 2010, eine vom 19. Januar 2010, eine vom 6. September 2010. Doch wie schwer die Erkrankungen sind, weiß das Amt nicht. Oder wie hoch das Ansteckungspotenzial ist. „Unmittelbarer Kontakt mit MRSA-tragenden Personen“ sei einer der „Hauptübertragungswege für MRSA“, warnt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR).

WAZ-Recherchen offenbaren: Seit einiger Zeit fallen auch schon mal größere MRSA-Datenpakete unter den Tisch, ohne dass die beteiligten Behörden es merken. 2010 kommen 25 Prozent der Duisburger MRSA-Fälle nicht in Münster an. Dass sie in der Landesstatistik fehlen, fällt niemandem auf. Auch in den nächsten Jahren nicht. 2011 rutscht nur ein Fall aus Duisburg durch, 2012 fehlen schon wieder acht, und damit zehn Prozent aller Infektionen.

VRE-Todesfall nicht bekannt

So bleibt unerkannt, dass die MRSA-Zahlen in Duisburg steigen. Die unkorrekten Meldungen vernebeln den Infektionsstand in der Stadt. Sie beeinflussen auch die MRSA-Landesstatistik. Und wenn die Zahlen aus dem bevölkerungsreichsten Bundesland NRW nicht stimmen, hinken auch nationale Erhebungen des Robert-Koch-Instituts (RKI) in Berlin. Dort kennt noch nicht jeder die Stärken und Schwächen der Duisburger Fallzähler. Das belegt dieser RKI-Tipp: „Falls Sie Fragen zu MRSA-Daten in bestimmten Duisburger Kliniken haben, sollte das Gesundheitsamt vor Ort weiterhelfen können.“

Dabei liegen die städtischen Aufseher auch bei einer weiteren gesundheitlichen Bedrohung offenbar daneben: bei VRE, einem anderen lebensgefährlichen Keim, der in Duisburger Krankenhäusern stark vertreten ist. Gegen VRE helfen noch weniger Antibiotika als gegen MRSA. Nur ein bis drei Medikamente versprechen Wirkung. Gesundheitsamtsmann Vogt sagt einerseits, „dass es in Duisburg bisher keine dokumentierten Erkrankungsfälle gegeben hat“. Als die WAZ ihm einen Arztbericht vorlegt, demzufolge mindestens ein VRE-Infizierter in Duisburg in diesem Jahr gestorben ist, kennt er den Fall nicht. Dabei soll es nicht der einzige in der Stadt sein.

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