Brüssel. . Die neuesten Enthüllungen über die Schnüffeleien der US-Geheimdienste schockieren die Europäer, aber sie tun sich schwer mit einer Antwort. Klare Worte Richtung Washington gibt es nicht. Auf jeden Fall erschwert der Skandal die Verhandlungen über ein transatlantisches Freihandelsabkommen.
Obwohl die Europäische Union nun schon seit drei Wochen durch die Enthüllungen des Computer-Spezialisten Edward Snowden auf den Daten-Hunger des US-Geheimdienstes NSA eingestimmt ist, sind die EU-Verantwortlichen geschockt: Dass der globale Partner Nummer eins gezielt EU-Büros in Brüssel, Washington und New York ausspioniert haben soll – das hatte man denn doch nicht auf der Rechnung.
Nach dem Bekanntwerden des neuen Skandal-Kapitels tun sich die EU-Instanzen mit einer angemessenen Antwort sichtlich schwer. Einig sind sie nur in einem Punkt: Washington müsse möglichst rasch Klarheit schaffen, was an den Vorwürfen dran ist.
Ein ums andere Mal beteuerten die Sprecher des Kommissionschefs Jose Manuel Barroso und der EU-Außenrepräsentantin Catherine Ashton am Montag:„Unsere Position ist völlig klar“ – ein sicheres Zeichen dafür, dass die Brüsseler Instanzen nicht weiter wissen und versuchen, Zeit zu gewinnen. Ashton hatte sich Sonntagnacht, mehr als 24 Stunden nach dem Spiegel-Bericht über die EU-Dimension der NSA-Spionage, zur Mitteilung durchgerungen, sie bemühe sich bei den Amerikanern um Aufklärung. Die Sache sei „sicher beunruhigend“. Aber jetzt müsse man erst einmal abwarten, bis man genauere Informationen habe. Auch nach einem Telefonat mit US-Außenminister John Kerry tags darauf war die britische Baroness nicht weiter: „Von unseren Partnern und Verbündeten erwarten wir Klarheit und Transparenz.“
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Ashtons Sprecher verweist darauf, dass die EU-Vertretungen in Washington und bei den Vereinten Nationen in New York mittlerweile nicht mehr in den offenbar ausspionierten Quartieren logieren, sondern umgezogen seien. Wie üblich habe man die neuen Gebäude auf Abhör-Einrichtungen untersucht. Ob die Europäer bei ihren Checks jemals fündig wurden? Darauf gibt es keine klare Auskunft.
Schon 2001 fielen die USA durch Datensammelei unangenehm auf
Vor allem weicht die Kommission bislang der heiklen Frage aus, welche Konsequenzen der Skandal haben könnte auf das soeben mit großer Fanfare gestartete Projekt eines transatlantischen Freihandelsabkommens. Zwar hat die forsche Brüsseler Justizkommissarin Viviane Reding dazu schon eine Meinung: „Wir können nicht über einen großen transatlantischen Markt verhandeln, wenn der leiseste Verdacht besteht, dass unsere Partner die Büros unserer Verhandlungsführer ausspionieren.“ Doch in ihrer Gesamtheit warnt die Brüsseler EU-Zentrale vor „Spekulationen“ in dieser Richtung.
Parlamentspräsident Martin Schulz macht darauf aufmerksam, dass sich das EP bereits 2001 mit US-Datensammelei befassen musste. Im Rahmen eines Programms namens „Echelon“ zapften die Amerikaner interkontinentale Verbindungen – Satellit oder Unterwasserkabel – an.
Ein Untersuchungsausschuss durchleuchtete die Sache. Der federführende Berichterstatter Gerhard Schmid (SPD) hielt den USA vor, die Grenze zur Wirtschaftsspionage zu überschreiten und „mit Cowboy-Mentalität auf einem Faustrecht zu bestehen“. Ein flächendeckendes Abhörsystem für Kommunikation in Europa gebe es aber nicht. Das müsse „in das Reich des kreativen Journalismus verwiesen werden“. Diese Feststellung scheint überholt.