Berlin. . Nach der Enthüllung eines umfangreichen Spähprogramms des britischen Geheimdienstes pocht die Bundesregierung auf rasche Aufklärung. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zeigte sich am Wochenende entsetzt: “Treffen die Vorwürfe zu, wäre das eine Katastrophe.“

Nach den Enthüllungen über ein britisches Spähprogramm für Telefon- und Internetverbindungen verlangen Bundesregierung und Opposition von London rasche Aufklärung. Berlin nehme den Zeitungsbericht "sehr ernst", sagte Regierungssprecher Georg Streiter der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) appellierte in der "Welt am Sonntag" an die deutschen Sicherheitsbehörden, deutsche Gesetze zu beachten.

Der "Guardian" hatte am Samstag unter Berufung auf den US-Informant Edward Snowden über ein britisches Spähprogramm namens Tempora berichtet, das noch "schlimmer" sei als das von ihm angeprangerte Prism-Programm der USA. Die Government Communications Headquarters (GCHQ) in London bespitzeln demnach systematisch Telefon- und Internetnutzer in aller Welt und teilen ihre Erkenntnisse mit den US-Kollegen. Von Snowden vorgelegte Dokumente sollen beweisen, dass sich der Geheimdienst GCHQ heimlich Zugang zu mehr als 200 Glasfaserkabeln verschafft hat, über die der weltweite Telekommunikationsstrom läuft.

Kauder hält Daten-Überwachung für nicht akzeptabel

Leutheusser-Schnarrenberger forderte in der "WamS", die Sicherheitsbehörden in Deutschland müssten sicherstellen, dass sie "nicht an Überwachungsprogrammen beteiligt sind". Unionsfraktionschef Volker Kauder sagte der Zeitung, wenn "das berichtete Ausmaß der Datenüberwachung so stimmt, wäre dies nicht akzeptabel." London müsse die europäischen Partner "umfassend und schnell" unterrichten. Zwar seien zur Abwehr terroristischer Gefahren große Anstrengungen notwendig. "Auf der anderen Seite müssen die Rechte der Bürger gewahrt werden."

Die Grünen plädierten für eine Ausweitung des im Grundgesetz verankerten Kommunikationsgeheimnisses auf die Internetkommunikation. Die neuen Erkenntnisse seien "Symbol einer ernsten Krise unserer demokratischen Prinzipien in Europa und Deutschland", erklärten die Grünen-Fraktionschefin Renate Künast und der Innenexperte Konstantin von Notz in Berlin.

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Die SPD verlangte von der Bundesregierung Aufklärung über das Abhörprogramm. "Die Vorwürfe klingen so, als ob der Überwachungsstaat von George Orwell in Großbritannien Wirklichkeit geworden ist. Das ist unerträglich", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, der "F.A.S.". "Die Bundesregierung muss diese Vorwürfe aufklären und gegen eine Totalüberwachung von deutschen Bürgern vorgehen."

BND sieht sich in punkto Daten-Ausspähen unzureichend ausgestattet

Auch der Vizekanzler und FDP-Chef Philipp Rösler forderte umgehend Aufklärung über Temopra. "Jetzt ist die britische Regierung gefragt, schnell Transparenz zu schaffen", sagte Rösler dem "Handelsblatt" vom Montag. Sollten die Vorwürfe zutreffen, "wäre dies nicht hinnehmbar".

Derweil setzte sich der Auslandsnachrichtendienst BND gegen den Vorwurf zur Wehr, eine geplante Aufstockung in Millionen-Höhe für sein Internet-Programm nutzen zu wollen, um flächendeckend E-Mails abzufangen und auszuwerten. Die zugesagten Mittel von bislang fünf Millionen Euro für die Ausweitung der Internet-Fähigkeiten sollen vielmehr dafür eingesetzt werden, Cyberangriffe noch im Ausland zu lokalisieren und abzuwehren, berichtete die "Welt" (Montagsausgabe) unter Berufung auf ranghohe BND-Kreise.

Mehrere BND-Mitarbeiter erklärten demnach, dass die Abteilung "Technische Aufklärung" des Geheimdienstes bislang unzureichend ausgestattet sei, um etwa staatlich gesteuerte Hackerangriffe aus dem Ausland aufzuklären und abzuwehren. Mit flächendeckender Online-Überwachung wie im Fall Prism hätten die Pläne des BND nichts zu tun, betonten Mitarbeiter der in Pullach angesiedelten Abteilung. (afp)