Straßburg. Europa geht neue Wege in der Asyl- und Flüchtlingspolitik - mit historischen Reformen. Alle EU-Staaten müssen Asylbewerber in Zukunft gleich behandeln. Und im Schengen-Raum dürfen Länder ihre Grenzen wieder für zwei Jahre schließen. Nun geht es an die Umsetzung.
Nach jahrelangen zähen Verhandlungen ist das gemeinsame EU-Asylrecht unter Dach und Fach: Das Europaparlament verabschiedete am Mittwoch mit deutlicher Mehrheit ein Gesetzespaket, das bei Asylverfahren in der EU für mehr Gerechtigkeit sorgen soll. Anträge sollen nach einheitlichen Standards geprüft, der Schutz der Bewerber soll verbessert werden. Dazu werden verbindliche Asylgründe und Mindeststandards für die Aufnahme der Bewerber vorgeschrieben.
Im Regelfall müssen Asylverfahren innerhalb von sechs Monaten abgeschlossen werden, für besonders komplizierte Fälle gilt eine Frist von 18 Monaten. Die Einspruchsmöglichkeiten gegen negative Bescheide sollen verbessert werden, ebenso der Schutz von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren. Minderjährige ohne Begleitung sollen leichter zu Verwandten in einem anderen EU-Staat ziehen können. Außerdem erhalten sie ein Recht auf Einschulung.
Arbeitserlaubnis für Asylbewerber jetzt schon nach neun Monaten
Asylbewerber sollen grundsätzlich nach neun Monaten eine Arbeitserlaubnis bekommen - und nicht wie bisher erst nach einem Jahr. Asylsuchende dürfen nur noch unter bestimmten Voraussetzungen in Gewahrsam genommen werden, etwa bei Fluchtgefahr. Im Regelfall dürfen sie nicht mehr gemeinsam mit Strafgefangenen untergebracht werden. Die neuen Vorschriften müssen von den EU-Staaten innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umgesetzt werden, sie greifen also frühestens Mitte 2015.
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Die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström sprach von einem "historischen Tag". Bewerber müssten künftig nicht mehr jahrelang auf eine Entscheidung warten. Damit sparten die EU-Staaten auch Geld für Unterbringung und Unterstützung von Asylsuchenden. Zudem gebe es künftig präzise Kriterien für die Inhaftierung von Asylbewerbern.
Rasche Abschiebung weiter möglich
Vor allem auf Druck Deutschlands bleibt das so genannte Flughafenverfahren erhalten, das die rasche Abschiebung von offenkundig aussichtslosen Antragsstellern ermöglicht. Wie bisher ist für die Bearbeitung der Asylanträge jener EU-Staat zuständig, in den ein Asylsuchender zuerst einreiste. Die Forderungen der südlichen EU-Grenzstaaten, die Belastung durch die Flüchtlinge gerechter zu verteilen, fand weder im Ministerrat noch im Europaparlament eine Mehrheit.
Über eine gemeinsame Asylpolitik wird in der EU seit 1999 diskutiert. Ziel ist es, dass alle EU-Staaten Verfolgte gleich behandeln. Damit soll vermieden werden, dass bestimmte Länder deutlich mehr Asylsuchende anziehen als andere. "Manche Länder prüfen Anträge sorgfältig, anderen lehnen praktisch alle ab", betonte die britische Grüne Jean Lambert. Auch die Aufnahmebedingen seien sehr unterschiedlich.
Fingerabdruck-Datenbank Eurodac umstritten
Im vergangenen Jahr wurden in der Europäischen Union nach Angaben des EU-Statistikamtes Eurostat 330.000 Asylanträge registriert. Spitzenreiter war Deutschland mit 77.500 Anträgen, gefolgt von Frankreich (60.600), Schweden (43.900), Großbritannien (28.200) und Belgien (28.100). Gemessen an der Gesamtbevölkerung war die Belastung für den kleinen Inselstaat Malta mit 5000 Anträgen die größte.
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Besonders umstritten war bis zuletzt der Umgang mit der seit zehn Jahren bestehenden Fingerabdruck-Datenbank Eurodac. Dank dieser Datenbank soll vermieden werden, dass eine Person in mehreren EU-Staaten Asylanträge stellt. Eine am Mittwoch verabschiedete neue Verordnung sieht vor, dass Polizei- und Justizbehörden unter bestimmten Umständen Zugriff zu dieser Datenbank erhalten, etwa bei der Verfolgung von mutmaßlichen Terroristen und Straftätern. Sie tritt in Kürze in allen EU-Staaten in Kraft - nach der Veröffentlichung im Europäischen Amtsblatt.
Mehrere Abgeordnete kritisierten diese Neuregelung. Asylbewerber würden damit "unter Generalverdacht" gestellt, meinte die FDP-Abgeordnete Nadja Hirsch. Die deutsche Grüne Franziska Keller sprach von einem "Schandfleck". Insgesamt sehe das Asylpaket "unzählige Ausnahmen" vor. Das Ziel, mit der "Lotterie bei Asylanträgen" Schluss zu machen, werde damit nicht erreicht. (afp/dpa)