Genf. . Schweizer Populisten machen Druck: Das Volk soll per Referendum die “Masseneinwanderung“ stoppen. Verträge mit der EU müssten gekündigt werden. Die Regierung ergreift nun die Flucht nach vor und beschränkt die Zuwanderung aus allen EU-Ländern. EU-Chefdiplomatin Ashton reagiert erbost.

Auf Schweizerdeutsch klang der Satz niedlich: "Es hätt zvill Tüütschi", sagte die konservative Abgeordnete Natalie Rickli. Damit löste sie vor einem Jahr einen Debattensturm aus. Sind die rund 280.000 Deutschen, die in der Alpenrepublik arbeiten und leben, "zvill" - zu viele? Muss man die Zuwanderung drosseln - nicht nur aus Deutschland, von wo besonders viele Jobsuchende kommen, sondern auch aus Polen, Ungarn, Tschechien, ja aus der gesamten EU?

Absolut, sagte die national-konservative Schweizerische Volkspartei (SVP). In kurzer Zeit sammelte die SVP im vorigen Jahr 136.195 Unterschriften - fast 37.000 mehr als für eine Volksabstimmung erforderlich gewesen wären.

Bis es zu dem Referendum kommt, wird noch einige Zeit vergehen. Doch die politische Stimmungsmache gegen das Freizügigkeitsabkommen mit Brüssel, das eine ungehinderte Zuwanderung von EU-Bürgern in die reiche Schweiz mit ihren hohen Löhnen und guten Sozialleistungen ermöglicht, ist längst im Gange.

Schweiz will Kontingent von Langzeit-Aufenthaltsbewilligungen drastisch senken

Nun hat die Regierung in Bern, die eine Annahme der Volksinitiative unbedingt verhindern möchte, die Flucht nach vorn angetreten: Für ein Jahr hat sie eine Ventilklausel in Kraft gesetzt, die einen zeitweiligen Ausstieg aus dem Freizügigkeitsabkommen ermöglicht. Wie zuvor schon bei den neuen EU-Ländern, den EU-8, wird die Zuwanderung für Bürger aus den 17 alten EU-Mitgliedsländern ebenfalls limitiert, darunter auch aus Deutschland.

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Betroffen sind Langzeit-Aufenthaltsbewilligungen für den Zeitraum von fünf Jahren. Ein Jahr lang sollen davon an Bürger der EU-17-Staaten maximal 53.700 sowie für Bürger der EU-8-Staaten höchstens 2180 ausgegeben werden. Damit solle Zuwanderung in die Schweiz "wirtschafts- und gesellschaftsverträglich" gestaltet werden, erklärte die Regierung.

Das klingt fast wie die Argumentation der SVP. Den Teufel der "Überbevölkerung" malt aber auch ein recht populärer Verband von nationalkonservativ gesinnten Umweltaktivisten an die Wand. Die Initiative "Ecopop" - angeleitet von Ecologie et Population - will gar das Wachstum der Einwohnerzahl per Referendum begrenzen.

Zuwanderung "auf ein für Natur und Gesellschaft erträgliches Maß" senken

Unter dem Motto "Stopp der Überbevölkerung" soll die Einwanderung so stark gebremst werden, dass die ständige Wohnbevölkerung nur noch um maximal 0,2 Prozent im Dreijahresmittel wachse. Die Zuwanderung müsse "auf ein für Natur und Gesellschaft erträgliches Maß gesenkt werden", sagt Benno Büeler, der Präsident des Initiativkomitees. Sonst sei es bald vorbei mit gesunder Natur, guter Luft und Lebensqualität in der schönen Schweiz.

Wenn auch nur eine dieser beiden Volksinitiativen angenommen wird, bekäme die Schweiz ernste Probleme mit der EU, da sie gegen Abkommen mit Brüssel verstoßen. Die EU könnte im Gegenzug der Schweizer Wirtschaft den Zugang zu den Märkten der Gemeinschaft erschweren.

Widerstand kommt daher nicht allein von linken und liberalen Politikern, sondern vor allem von der Wirtschaft. "Die Zuwanderung von Arbeitskräften ist für ein kleines Land wie die Schweiz, das wirtschaftlich konkurrenzfähig bleiben will, eine absolute Notwendigkeit", betonte der Arbeitgeberverband. Die Anwendung der Ventilklausel wird in der Wirtschaft auch eher als politischer Aktivismus der Regierung gesehen, die den beiden Volksinitiativen Wind aus den Segeln nehmen wolle. Länger als ein Jahr dürfte die Klausel laut Abkommen mit der EU ohnehin nicht angewendet werden.

Sollten sich die Zuwanderungsg egner am Ende jedoch im Stimmlokal durchsetzen, wären Deutsche potenziell am stärksten betroffen. Denn aus der Bundesrepublik kamen in den letzten Jahren Zehntausende auf der Suche nach Jobs in die Schweiz - trotz wiederholter Anfeindungen durch Populisten wie Frau Rickli. Insgesamt sind derzeit rund 1,8 Millionen der knapp 8 Millionen Einwohner der Schweiz Ausländer. Italiener bilden mit rund 16 Prozent immer noch die größte Ausländergruppe, aber dicht gefolgt von Deutschen (knapp 15 Prozent). Portugiesen machen 12 Prozent aus, Serben knapp 7 Prozent. Der Anteil der Zuwanderer aus außereuropäischen Länder unter den Ausländern hat sich seit 1980 auf rund 15 Prozent verdoppelt. (dpa/afp)