Essen. . Die Energiewende hat erstaunliche Folgen. Manchmal müssen die Versorger ihren Strom praktisch verschenken. Doch für Millionen Verbraucher steigen die Preise. „Die Energiewende wird als Sündenbock für weitere Preissteigerungen missbraucht“, sagt DIW-Expertin Kemfert.
Am 24. März ist wieder einmal geschehen, was nicht geschehen sollte. Energieversorger, die am Sonntag vor einer Woche kurzfristig Strom absetzen wollten, hätten noch etwas draufzahlen müssen. Von „negativen Strompreisen“ spricht die Branche dann.
Gegen 14 Uhr seien die Börsenpreise ins Minus gerutscht, berichtet der Stromlobbyverband BDEW. Denn Wind und Sonne habe es reichlich gegeben, gleichzeitig sei die Strom-Nachfrage der Industrie gering gewesen. Ob tatsächlich ein Kraftwerksbetreiber draufgezahlt hat, war zunächst nicht bekannt. Theoretisch wäre dies möglich, wenn sich die Anlagen nicht schnell genug herunterfahren lassen und der überschüssige Strom nicht anders abtransportiert werden kann.
Käufer aus Holland und Österreich
Der Atomausstieg hat erstaunliche Folgen. Da die Produktion der Wind- und Solaranlagen in Deutschland naturgemäß stark schwankt, kommt es bei der Stromerzeugung immer wieder zu hohen Überschüssen.
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Obwohl acht Kernkraftwerke abgeschaltet worden sind, stieg der Export von Strom so stark wie seit dem Jahr 2008 nicht mehr. Diese Bilanz zog das Statistische Bundesamt. Im vergangenen Jahr importierte Deutschland demnach 43,8 Terawattstunden über die europäischen Stromnetze.
Ausländische Stromversorger – hauptsächlich aus den Niederlanden, Österreich und der Schweiz – kauften hierzulande 66,6 Terawattstunden ein. Der Überschuss entspricht der Jahresproduktion von mehr als zwei Kernkraftwerken.
Die Preise an der Strombörse seien „so niedrig wie lange nicht und somit sehr attraktiv für ausländische Abnehmer“, erläutert Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).
Große Stromausfälle blieben aus
Warnungen vor größeren Stromausfällen haben sich bislang als unbegründet erwiesen. Auch massenhafte Atomstromimporte aus Frankreich oder Tschechien sind unnötig. Doch die Energiewende hat die Branche mächtig durcheinandergewirbelt. Da Ökostrom in Deutschland bei der Einspeisung ins Netz Vorrang hat, stehen die Gas- und Kohlekraftwerke großer Konzerne wie Eon und RWE regelmäßig still. Eon hat bereits angekündigt, in den kommenden Jahren Anlagen zu schließen.
Auch die Verbraucher haben in der Regel nichts davon, dass es an den Börsen für Großkunden viel Strom zu günstigen Preisen gibt. Ursache ist die Berechnungsgrundlage der Erneuerbare-Energien-Umlage (EEG), die auf den Strompreis aufgeschlagen wird.
Den Produzenten wird der Ökostrom zu einem fixen Preis abgenommen, der deutlich über dem Preis an der Strombörse liegt. Die Differenz von Börsenpreis und fixem Abnahmepreis zahlen die Verbraucher über die EEG-Umlage. Das heißt: Fallen die Börsenstrompreise weiter, dürften die Ökostromkosten weiter wachsen.
Auch wenn die Energiekonzerne darüber klagen, dass ihre Kraftwerke zum Teil unrentabel geworden seien: Mit der Handelsware Strom erwirtschaftete Deutschland im vergangenen Jahr einen Überschuss von 1,4 Milliarden Euro.
„Energiewende als Sündenbock für weitere Preissteigerungen“
Allein mit der Systematik des EEG lasse sich nicht erklären, warum die Strompreise für Millionen Verbraucher weiter steigen, sagt DIW-Expertin Kemfert. „Die Energiewende wird als Sündenbock für weitere Preissteigerungen missbraucht.“ Die Politik sei „gefragt, für stabile Preise zu sorgen“ und „die Konzerne zu verpflichten, Preissenkungen auch an die Verbraucher weiter zu geben“.
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Übrigens: Auch am ersten Weihnachtsfeiertag gab es „negative Strompreise“ an der Energiebörse. Doch Weihnachtsgeschenke verteilten die Versorger nicht. Im Gegenteil: Zum Jahreswechsel stiegen vielerorts die Preise.