Düsseldorf. . Der Düsseldorfer Entwicklungspsychologe Denis Köhler hält das Erreichen der Quote für die Betreuung von Kindern unter drei Jahren in NRW für einen Scheinerfolg. Die Zielmarke werde nur mit Hilfe von Tagesmüttern erreicht, die nicht ausreichend qualifiziert seien. Für jede KFZ-Werkstatt würden höhere Anforderungen gelten, so Köhler im Interview.

Die rot-grüne Landesregierung jubelt bereits, Nordrhein-Westfalen werde den ab August für Eltern geltenden Rechtsanspruch auf Betreuung ihrer unter dreijährigen Kinder (U3) einhalten können. Der Entwicklungspsychologe Denis Köhler, Professor an der Fachhochschule Düsseldorf, hingegen kritisiert, dass in vielen Städten das „Betreuungsloch“ durch schlecht qualifizierte Tagesmütter gestopft werde.

Die Landesregierung ist stolz, nach einer „gewaltigen Aufholjagd“ die erforderliche Quote an Kleinkind-Betreuungsplätzen zu schaffen. Warum halten Sie das für einen Scheinerfolg?

Denis Köhler: Die beim gesetzlichen Anspruch für die Kleinkinderbetreuung zugrunde gelegte Anzahl von Betreuungsplätzen war von Anfang an viel zu niedrig. In der Realität besteht ein wesentlich höherer Bedarf bei den Eltern. Zudem wurden ambitionierte Bildungspläne für die Frühförderung von kleinen Kindern verabredet. Die Hochschulen waren sogar aufgefordert, Studiengänge der frühkindlichen Bildung aufzusetzen und für akademisierte Kindheitspädagogen zu sorgen. Und was passiert in der Realität…

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Von Wilfried Goebels und Matthias Korfmann

Bei den Qualitätsstandards sollen doch keine Abstriche gemacht werden…

Köhler: Die Länder erreichen zum 1. August noch nicht einmal die gesetzlich festgelegte Anzahl von Betreuungsplatzen und versuchen nun, diesem „Betreuungsloch“ durch den massiven Aufbau von Tagepflegeeinrichtungen entgegen zu wirken. Damit findet de facto ein Abstrich bei der Qualität statt.

Maximal ein Drittel aller U3-Betreuungsplätze darf außerhalb von Kitas und Krippen geschaffen werden. Was haben Sie gegen Tagesmütter?

Köhler: Wer in Deutschland eine Tagespflege-Einrichtung eröffnen will, braucht außer einem polizeilichen Führungszeugnis nur 160 Stunden Weiterbildung. Weder eine erzieherische noch eine pädagogische oder gar psychologische Grundausbildung wie ein Bachelor-Studium sind erforderlich. Es wird über Werbeaktionen in Bussen und Bahnen nach fachfremden Personen gesucht, die nach „Kurzausbildung“ und Prüfung durch das Jugendamt befähigt sein sollen, unsere Kinder betreuen und bilden zu können. Das Erreichen der Bildungspläne rückt in weite Ferne, denn für gezielte und fachgerechte Betreuung benötigen wir Fachleute.

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Sind die Qualifikationshürden für Tagesmütter zu niedrig?

Köhler: Die Tagesmütter und –väter sind zumeist sehr engagiert und geben sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten alle Mühe. In der schlechten Bezahlung und den niedrigen Qualifikationsanforderungen schimmert jedoch eine geringe Wertschätzung der Politik für die Arbeit mit Kleinkindern durch. Möchte man in Deutschland eine Autowerkstatt eröffnen, ist eine etwa fünfjährige Berufsausbildung zum Kraftfahrzeug-Mechaniker mit Meisterprüfung notwendig. Das macht 2640 Ausbildungsstunden. Die Autoreparatur ist uns demnach das 16,5-fache an Qualifizierung wert im Vergleich zur Betreuung der kleinsten Menschen unserer Gesellschaft. Wieso regt sich eigentlich keiner darüber auf?

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Niemand wird gezwungen, sein Kind zur Tagesmutter zu schicken.

Köhler: Was ist das für eine Wahlmöglichkeit? Wer nicht das Glück hat, einen Betreuungsplatz bei geschultem Personal zu bekommen und auf die deutlich weniger qualifizierten Tagesmütter angewiesen ist, entscheidet sich im Zweifel für die Erziehung seiner Kinder zu Hause. Das widerspricht den beruflichen Wünschen gut ausgebildeter Frauen, den Zwängen von Alleinerziehenden und allen Sonntagsreden zu Gleichberechtigung und Gleichstellung.