Düsseldorf/Essen. . Zum nächsten Kindergartenjahr wird es für jedes dritte Kind unter drei Jahren einen Betreuungsplatz in Nordrhein-Westfalen geben. Aber nicht überall wird der tatsächliche Bedarf gedeckt werden können. Das geht aus einem Überblick hervor, den NRW-Familienministerin Ute Schäfer (SPD) am Dienstag vorgelegt hat.

Nach der Aufholjagd beim Ausbau der Krippenplätze hat NRW ein Etappenziel erreicht. Im Kindergartenjahr 2013/14 wird es für jedes dritte Kind einen Betreuungsplatz geben. Allerdings warnte der NRW-Städtetag, dass der Rechtsanspruch auf einen Platz in der Kita oder bei einer Tagesmutter in vielen Großstädten aufgrund der hohen Nachfrage von Eltern nicht erfüllt werden kann. Familienministerin Ute Schäfer (SPD) kündigte einen weiteren Ausbau an, um den steigenden Bedarf zu decken.

Insgesamt stehen in NRW 144.800 Plätze für U3-Kinder bereit. Das entspricht einer Quote von 33 Prozent – ein Prozent über der bisherigen Zielvorgabe. Da der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz erst für Ein- und Zweijährige gilt, liegt die Quote sogar bei 49 Prozent. Für Kinder unter einem Jahr gibt es keinen gesetzlichen Anspruch auf einen Betreuungsplatz.

Bedarfsquote von 32 Prozent erreicht

Nach einer Abfrage bei den 186 NRW-Jugendämtern stehen derzeit 106.000 Kitaplätze sowie 38.000 Plätze bei Tagesmüttern für Unter-Dreijährige zur Verfügung. Damit hat NRW laut Ministerin Schäfer die vom Deutschen Jugendinstitut berechnete Bedarfsquote von 32 Prozent erreicht. Stephan Articus vom NRW-Städtetag würdigte den Kraftakt der Kommunen. In vielen Großstädten seien Betreuungsquoten von 40 Prozent erreicht. Häufig liege der Bedarf der Eltern in Großstädten aber bei mehr als 50 Prozent. „Es werden Lücken bleiben“, so Articus. Bei Schadensersatzklagen von Eltern stünden Bund und Land deshalb in der Mitverantwortung.

Schäfer verwies darauf, dass nicht jede Kommune in NRW die 32-Prozent-Quote erreichen müsse, um den Rechtsanspruch zu erfüllen. In vielen ländlichen Regionen sei der Bedarf an U3-Betreuung deutlich geringer. Mit 19,4 Prozent weist Ahlen die niedrigste Quote in NRW aus. Allerdings liegen auch Großstädte wie Duisburg (26%), Hagen (25,4%) und Oberhausen (26,9%) deutlich unter 32 Prozent Versorgungsquote.

Der Vorsitzende des Deutschen Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, und Peter Wenzel vom Kita-Zweckverband im Bistum Essen lobten die Regierung für das Erreichen der Quote. Sie fürchten aber, dass sich die Arbeits- und Erziehungsbedingungen in Kitas wegen der Aufnahme vieler Kinder unter drei Jahren insgesamt verschlechtern werden. Eine Folge wären größere Gruppen.

Genug Betreuungsplätze für kleine Kinder? 

Vor ein, zwei Jahren hätte kaum ein Experte NRW zugetraut, dass das Land zügig die Quote von 32 Prozent für die U-3-Betreuung erreicht. Die ist mindestens nötig, weil Eltern ab August Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Ein- und Zweijährige haben. Aber Familienministerin Ute Schäfer (SPD) konnte gestern erfreut sagen: „Wir haben es geschafft.“ Sogar 33 Prozent sind erreicht. Ob das am Ende wirklich reicht, dürfte aber erst Mitte Mai feststehen, wenn der konkrete Bedarf vorliegt. Viele Eltern haben sich aus Vorsicht nämlich gleich in mehreren Kitas angemeldet.

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In nur einem Jahr sind in NRW 27.000 Betreuungsplätze für U-3-Kinder eingerichtet worden. Oft auf ungewöhnliche Weise. So wurden in Mülheim Wohnungen angemietet, in denen Tagesmütter gemeinsam Gruppen betreuen.

Die Qualität der Erziehung leidet

Ist nun also alles in Ordnung? Nein, so weit würden Experten nicht gehen. Hinter der Zahl von 33 Prozent stehen viele Fragezeichen. „Man wird mit 33 oder auch 35 Prozent nicht auskommen“, sagte Heinz Hilgers vom Deutschen Kinderschutzbund dieser Zeitung. „Die Erfahrung zeigt: Dort, wo das Betreuungs-Angebot wächst, nimmt auch die Nachfrage zu.“ Das gelte besonders für Großstädte und Uni-Standorte. Marita Haude von der Freien Wohlfahrtspflege NRW nennt das Beispiel Münster: „In dieser Universitätsstadt dürfte der Bedarf bei 40 Prozent liegen.“ Es gebe erhebliche regionale Unterschiede beim Bedarf.

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Von Barbara Hoynacki

Hagen erreicht zum Beispiel nur 25,4 Prozent Betreuungsquote. Viel Luft, dies nach oben zu korrigieren, haben die Hagener nicht. „Wir sind im Nothaushalt, müssen alles mit der Bezirksregierung absprechen“, sagte Gerd Steuber, Fachbereichsleiter für Jugend und Soziales. Noch größer sei dort übrigens das Problem bei der Über-3-Betreuung. Es fehlten 100 Plätze.

Zusätzliche Betreuung der Kleinen

Die zusätzliche Betreuung von Ein- und Zweijährigen werde die Kitas vor Probleme stellen, sagen Heinz Hilgers und Peter Wenzel (Kita Zweckverband Essen) voraus. „Um die Quote erfüllen zu können, wird die Solidarität der Erzieher und Kita-Träger eingefordert. Am Ende wird das nicht ohne Einschränkungen funktionieren. So dürften vielerorts Kita-Gruppen vergrößert werden, ohne auf zusätzliche Erzieherinnen zurückgreifen zu können“, so Wenzel. Heißt: Die Erziehung könnte unter dem U-3-Ausbau leiden.

Kita Vormholz- die U3-Kinder

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Vielleicht, so die Befürchtung, werden auch Betreuer zweiter Wahl eingestellt. Hilfskräfte statt Profis. Der CDU-Experte Bernhard Tenhumberg warnt vor einem Ausbau zu Lasten der Qualität. Die Grünen-Abgeordnete Andrea Asch erwartet, dass Eltern in immer stärkerem Maße U-3-Plätze anfordern werden.

Kinderschutzbund in Sorge

Heinz Hilgers vom Kinderschutzbund treibt eine weitere Sorge um: „Was ist, wenn vor allem jene Eltern, die es sich leisten können, einen Betreuungsplatz für ihre Kinder einklagen? Dann würden jene Kinder, die eine besondere Entwicklungsförderung brauchen, schlechtere Chancen haben.“

Laut Familienministerin Schäfer hat das Land seit 2010 insgesamt 712 Millionen Euro in den U-3-Ausbau investiert.