Berlin. Fraktionschef Trittin wirft dem damaligen Koaltionspartner vor allem vor, den Mindestlohn damals blockiert zu haben. Die CDU wiederum attackiert die Sozialdemokraten wegen ihrer Rolle rückwärts. Zugleich fordern Gerhard Schröder und Wirtschaftsexperten eine Forsetzung der Reformen.

Zehn Jahre nach der Verkündung der "Agenda 2010" mit grundlegenden Arbeitsmarkt- und Sozialreformen gehen die Grünen auf Distanz zum damaligen Koalitionspartner SPD. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin macht die SPD für Fehlentwicklungen verantwortlich.

Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte am 14. März 2003 im Bundestag ein umfassendes Reformprogramm mit Einschnitten in die sozialen Sicherungssysteme wie Flexibilisierungen beim Kündigungsschutz, Einschnitte beim Arbeitslosengeld sowie die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe vorgestellt. Die Reformen waren auch in der eigenen Partei umstritten und machte der SPD viele Jahre schwer zu schaffen. Die Gewerkschaften gingen auf Distanz zu den Sozialdemokraten.

SPD korrigiert ihren Agenda-2010-Kurs

Die Grünen hätten damals andere Vorstellungen gehabt, sagte Fraktionschef Trittin. So hätten die Grünen einen höheren Regelsatz angestrebt und die Frage des Förderns anstelle des Forderns weiter nach vorne ziehen wollen. "Und wir haben bis zum Schluss dafür plädiert, die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes zu verknüpfen mit einem gesetzlichen Mindestlohn", sagte Trittin. Er fügte hinzu: "Das ist damals nicht von den Grünen blockiert worden, sondern von der Sozialdemokratie und von einem sozialdemokratischen Kanzler. Wenn es nach den Grünen gegangen wäre, hätten wir heute manches Problem nicht."

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Hamburgs SPD-Bürgermeister Olaf Scholz sieht die Zunahme von Niedriglohn-Jobs jedoch nicht als Folge der Agenda-2010-Reformen. "Es ist ja kein deutsches Phänomen, dass der Anteil derer wächst, die sehr wenig, zu wenig Geld verdienen", sagte er. Die Entwicklung des Niedriglohnsektors habe eher mit der Globalisierung und der internationalen Arbeitsteilung zu tun.

Die SPD will mit deutlichen Korrekturen an der Agenda 2010 in den Bundestagswahlkampf ziehen. Der SPD-Vorstand billigte am Montag einstimmig das Programm für die Wahl am 22. September. Es fordert unter anderem einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro und eine bessere Bezahlung für Leiharbeiter. Der Spitzensteuersatz soll auf 49 Prozent steigen. Die Steuermehreinnahmen sollen vor allem in die Bildung fließen. Zudem will die Partei "den Finanzkapitalismus bändigen". Altkanzler Schröder wird an diesem Dienstag erstmals seit 2005 wieder eine Sitzung der SPD-Bundestagsfraktion besuchen.

CDU warnt vor negativen Folgen für die Wirtschaft

CDU-Fraktionsvize Michael Meister warf der SPD vor, mit ihrem Wahlprogramm Arbeitslosigkeit und Armut zu provozieren. Ausgerechnet zum Jahrestag der Agenda 2010 mache die SPD "eine Rolle rückwärts ins letzte Jahrhundert", so Meister. Das Wahlprogramm werde Strukturen wieder verhärten und Wirtschaftsleistung ausbremsen.

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Für den Vorsitzenden der Linkspartei, Bernd Riexinger, ist der SPD-Entwurf dagegen "nur rosa Prosa". "Solange die SPD nicht sagt, mit wem sie was umsetzen will, ist das ganze Papier nicht mehr wert als die Rentenlüge von 2002 und die Mehrwertsteuerlüge von 2005", sagte er. "Die SPD muss sich überlegen, ob sie zum Lager der sozialen Gerechtigkeit gehört oder zum Lager der Agenda 2010."

Alt-Bundeskanzler Schröder, führende Politiker aus Regierung und Opposition sowie Wirtschaftsexperten haben weitere Reformanstrengungen gefordert. "Deutschland kann seinen Vorsprung gegenüber aufstrebenden Wirtschaftsmächten wie Brasilien und China nur verteidigen, wenn wir hart an unserer Wettbewerbsfähigkeit arbeiten", sagte Schröder. Am wichtigsten seien Investitionen in Forschung und Bildung. Ähnlich äußerte sich SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) forderte: "Wir brauchen eine Agenda 2020, über der 'Chancengerechtigkeit und Fachkräftesicherung' steht." (dpa/afp/dapd)