Essen. . NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider (SPD) dringt darauf, die Sanktionen für geringfügige Verstöße von Hartz-IV-Empfängern bei der Stellensuche zu lockern. „Wenn nur Termine bei den Jobcentern überschritten werden, sollte dies kein Sanktionsgrund sein“, sagte Schneider der WAZ.
NRW-Arbeits- und Sozialminister Guntram Schneider (SPD) gehört zu den besonders profilierten Mitgliedern des Kabinetts von Hannelore Kraft. Der Dortmunder war Landeschef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und engagiert sich seit Jahrzehnten in der IG Metall. Im WAZ-Interview fordert er neue Regeln für die Leiharbeit und einen „Sozialen Arbeitsmarkt“ für Langzeitarbeitslose.
Herr Schneider, sollten im Falle eines SPD-Sieges bei der Bundestagswahl Teile der Agenda 2010 rückgängig gemacht werden?
Guntram Schneider: Bei den Arbeitsmarktreformen muss sicher nachgebessert werden. Dies bezieht sich etwa auf die Zumutbarkeitsregelungen oder Sanktionen bei geringfügigen Verstößen. Die Grundsätze der Reform haben sich bewährt: Die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe war und ist richtig. Und auch das Prinzip vom Fördern und Fordern ist richtig.
Jobcenter üben erheblichen Druck auf Hartz IV-Bezieher aus, eine Stelle anzunehmen. Muss mehr gefordert werden?
Schneider: Jobcenter müssen sich im Rahmen der Zumutbarkeitsregelungen, die durchaus bedenkenswert sind, bewegen. Gesetze und Regeln, die nicht sanktioniert werden können, sind weitgehend wertlos. Deshalb bin ich grundsätzlich für Sanktionen. Wenn aber nur Termine bei den Jobcentern überschritten werden, sollte dies kein Sanktionsgegenstand sein. Also: Sanktionen ja bei harten Verstößen – aber nicht bei Lappalien.
Sie schlagen einen „Sozialen Arbeitsmarkt“ vor, der vor allem auf Langzeitarbeitslose zielt?
Schneider: Auch wenn wir ein Wachstum von fünf Prozent und mehr erzielen würden, gäbe es noch Langzeitarbeitslose, die den Sprung auf den ersten Arbeitsmarkt nicht schaffen, zum Beispiel Geringqualifizierte. In Modellprojekten öffentlich geförderter Beschäftigung soll ausgelotet werden, inwieweit benachteiligte Langzeitarbeitslose primär in Non-Profit-Unternehmen und -Einrichtungen beschäftigt werden können.
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Die Auftragsbücher der NRW-Firmen sind nicht mehr so prall gefüllt wie im Vorjahr. Erwarten Sie einen Anstieg der Arbeitslosenzahlen?
Schneider: Wenn für 2013 ein Wirtschaftswachstum von etwa einem Prozent prognostiziert wird, werden aller Voraussicht nach die Produktivitätssteigerungen höher liegen. Sollten wir also das derzeitige Niveau der Beschäftigung halten, wäre dies schon ein Fortschritt. Ich rechne mit einem Anstieg der Kurzarbeit. Um zu verhindern, dass aus Kurzarbeit Arbeitsplatzverluste erwachsen, muss das krisenerprobte Instrumentarium der Kurzarbeit wieder einsetzbar sein.
Neue Pläne für die Zeitarbeit in Nordrhein-Westfalen
Die Leih- und Zeitarbeit in NRW nimmt zu. Sie planen im Frühjahr eine Bundesratsinitiative für gesetzliche Eingriffe. Was fordern Sie?
Schneider: Leiharbeit kann ein wirkungsvolles Instrument sein. Wenn durch Leiharbeit aber systematisch die Kernbelegschaften reduziert werden und prekäre Beschäftigung zunimmt, liegt Missbrauch vor. Die Neuregulierung der Leiharbeit muss den Grundsatz ‚Gleiches Geld für gleichwertige Arbeit an gleichem Ort’ haben. Und wir fordern die Wiedereinführung des Synchronisationsverbotes.
Verleihfirmen sollen keine Arbeitsverträge mehr abschließen können, die automatisch enden, wenn eine Verleihung nicht mehr möglich ist. Heute verlieren Leiharbeitnehmer automatisch ihren Arbeitsplatz - auch ohne Kündigung und ohne die Möglichkeit einer Kündigungsschutzklage.
Wir brauchen mehr gesteuerte Zuwanderung, also die Anwerbung gut ausgebildeter Fachkräfte? Wird da nur geredet statt gehandelt?
Schneider: Tatsache ist, dass wir gerade in den letzten Monaten zunehmende Zuwanderung qualifizierter junger Arbeitskräfte zum Beispiel aus den europäischen Krisenländern, aber auch aus Osteuropa feststellen. Wir müssen aber Hürden abbauen. Dazu gehört auch die für 2013 geplante Verabschiedung des Berufs-Anerkennungsgesetzes im NRW-Landtag.
Damit sollen Menschen aus der EU Diplome und berufliche Abschlüsse anerkennen lassen können. Wenn dies nicht möglich ist, muss es Teilanerkennungen bzw. Nachqualifizierungen geben. Im Übrigen sollten wir nicht so tun, als ob die befürchtende Fachkräftelücke ausschließlich über Zuwanderung zu verhindern ist.
Nordrhein-Westfalen verzeichnet einen sprunghaften Anstieg an Asylbewerbern und auch Einwanderung aus Südosteuropa. Viele Menschen sind Roma, deren Integration schwierig ist.
Schneider: Die Kommunen sind mit der Aufgabenstellung auch finanziell überfordert. Eine interministerielle Arbeitsgruppe in Düsseldorf hat die Arbeit aufgenommen mit dem Ziel, eine minimale Gesundheitsversorgung sicherzustellen und die Schulpflicht für Kinder und Jugendliche zu gewährleisten.
Der Schlüssel zur Bewältigung der Fragen liegt in den Heimatländern der Menschen. Deren Regierungen erhalten beträchtliche Mittel, um die Lebensbedingungen von Minderheiten zu verbessern. Teilweise versickern sie angesichts der Korruption gerade in Bulgarien und Rumänien. NRW fordert, dass Teile der EU-Mittel eingesetzt werden können, um Integrationsaktivitäten in der Bundesrepublik zu finanzieren.