Essen. . Lehrer haben neuerdings das Recht auf Erstattung von Reisekosten – aber die Schulen haben kein Geld. Überall in NRW bangen Schulen um ihre Reiseprojekte für 2013 und 2014. Sie wollen schnell Unterstützung von Land, doch NRW muss sparen.
An vielen nordrhein-westfälischen Schulen werden in diesen Wochen bereits geplante Klassenfahrten und Ausflüge gestrichen. Hintergrund: Die Schulen haben Angst, ihr Budget für Klassenfahrten zu überziehen. Weil weiter ungeklärt ist, in welchem Umfang Schulen künftig noch Klassenfahrten anbieten können, sind die Schulen in NRW zutiefst verunsichert.
Die Situation ist entstanden, weil Lehrer neuerdings Reisekosten für Klassenfahrten in voller Höhe geltend machen können. Eine Verzichtserklärung wie sie bisher üblich war, darf von den Pädagogen nicht mehr verlangt werden. Die Landesregierung fordert die Schulen derzeit auf, nur dann Reisen zu genehmigen, wenn die Kosten dafür gedeckt sind. Maßstab dafür ist das Reisekostenbudget des vergangenen Jahres.
In vielen Fällen können zurzeit nur wenige Klassen und Kurse einer Schule verreisen, andere müssen zu Hause bleiben. Schulleitungen, Eltern sowie die Gewerkschaften VBE und GEW verlangen von der Landesregierung, schnell zu handeln. Um Fahrten in ähnlichem Umfang wie bisher organisieren zu können, müsse der Reiseetat der Schulen erheblich erhöht werden.
Reisekosten verfünffachen?
Was das in der Praxis bedeutet, erklärt Bernhard Arens, Sprecher der Bochumer Gymnasialdirektoren, so: „Um alle Fahrten wie bisher durchführen zu können, müssten die Haushaltsmittel für die Reisekosten der Gymnasien verfünffacht werden.“ Im Schnitt hätten Bochumer Gymnasien im Jahr 2012 rund 2250 Euro für Reisen erhalten. Nun müssten es laut Arens 11.000 Euro sein.
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Es ist noch nicht einmal März, und schon sind die Mittel des Schulleiters am Dortmunder Bert-Brecht-Gymnasium ausgeschöpft. Jene 2200 Euro, mit denen das Land im Januar die Klassenfahrtenkasse von Direktor Wolfgang Hardering füllt, sind längst verfrühstückt. „Wir waren im Januar mit vier Klassen und zehn Lehrern zur Ski-Freizeit in Südtirol.“
Nun darf Hardering nur noch Fahrten genehmigen, wenn dafür schon vor dem 1. Februar rechtsverbindliche Verträge zustande gekommen sind. Weitere Fahrten – darunter Austausche mit Partnern in Israel, Frankreich und Italien – muss Hardering absagen.
Reiserücktritt kann teuer werden
„Wir müssen vor allem die internationalen Austausche retten“, fordert Oliver Brosch-Guesnet (Landeselternschaft Gymnasien). Die Verunsicherung zieht sich durch alle Schulformen und alle Regionen in NRW.
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Der Leiter der Adolf-Reichwein-Gesamtschule in Lüdenscheid quält sich wie viele seiner Kollegen derzeit mit dem Prüfen von Reisekosten. Mehr als 15 Fahrten möchte die Schule in diesem Jahr anbieten. Aber niemand weiß, ob das klappt. Denn Klassenfahrten dürften bald viel teurer sein, weil neuerdings Lehrer Anspruch auf Erstattung ihrer Reisekosten haben.
„Wer kommt dafür auf, wenn wir Reisen stornieren müssen?“, fragt Rektor Michael Lohr. Weil viele Fahrten im Vorhinein angezahlt werden, könnten beim Reiserücktritt Gebühren entstehen. Lohr ahnt: Für alle geplanten Fahrten seiner Schule werden die vom Land in Aussicht gestellten Mittel nicht ausreichen.
Überall im Land stellen sich Lehrer, Eltern und Schüler diese Fragen: Wird es in diesem oder im nächsten Jahr was mit der Klassenfahrt nach Florenz, mit dem Ausflug an den Rhein, mit der Skifreizeit in Tirol? „An große Fahrten wie die Studienfahrten der Oberstufe ist gar nicht mehr zu denken“, fürchtet Gabriele Krüsmann, Leiterin der Hermann-Runge-Gesamtschule in Moers. Elmar Prinz, Sprecher der Gymnasial- und Gesamtschul-Direktoren in Essen, ist ratlos: „Wir können für 2014 keine Fahrten planen.“
Muss der Förderverein einspringen?
Manche Schulen denken darüber nach, mit Tricksereien und alternativen Finanzierungen Klassenfahrten doch noch zu ermöglichen. Insider aus Südwestfalen berichten, dass Anträge auf Tagesausflüge an die Bezirksregierung von den Schulen rückdatiert werden. So wolle man sichergehen, dass die Zuschüsse auch fließen. Mögliche neue Geldquellen für Klassenfahrten sind die Fördervereine der Schulen oder Sponsoren aus der Wirtschaft. Aber der Gedanke, diese Quellen anzapfen zu müssen, gefällt nicht jedem. „Sollen wir unsere Schüler mit Sponsoren-Aufklebern auf Fahrt schicken?“, fragt Bernhard Arens, Sprecher der Gymnasialdirektoren in Bochum.
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„Die Eltern an den Mehrkosten zu beteiligen sehe ich sozial kritisch“, sagt Oliver Brosch-Guesnet von der Landeselternschaft der Gymnasien. Auch Fördervereine schließt er als Geldgeber aus, weil dies „juristisch schwierig“ sei. Fördervereine sollten sozial benachteiligten Schülern unter die Arme greifen. „Einem Lehrer dürfen wir aus diesen Mitteln keine Klassenfahrt bezahlen“, so der Vater dreier Kinder. Inzwischen reagieren die ersten Reiseveranstalter auf die neue Lage und bieten „Freiplätze“ für Lehrer an, die die Kosten für Fahrt, Verpflegung, Unterkunft und Versicherungen beinhalten.
Nicht alle Schulleiter klagen
Das NRW-Schulministerium arbeitet gerade an der Neukonzeption der „Wanderrichtlinien“. Dabei soll erstens die pädagogische Bedeutung von Klassenfahrten und zweitens die angespannte Haushaltslage des Landes berücksichtigt werden. Schwer vorstellbar, dass dabei ein Angebot an die Schulen herauskommt, das Klassenfahrten wie bisher üblich ermöglicht. Aber genau das wollen viele Schulleitungen und viele Eltern im Land. Werner Volmer, Vorsitzender der Stadteltern in Dortmund, macht sich für eine rasche Lösung stark, die rechtssicher wäre und dem Ausfall weiterer Klassenfahrten sofort vorbeugt: „Entweder das Land stockt den Fonds sofort bedarfsgerecht auf oder es sagt die spätere Kostenübernahme zu.“
Übrigens: Es gibt auch Pädagogen, die sich in Gelassenheit üben. Wie Christiane Feldmann, Chefin der Emmericher Hanse-Realschule. „Wir bekommen einen Pauschalbetrag für Fahrten“, sagt sie. „Der wird auch in Zukunft reichen.“ Weder die Fahrten in den Stufen 7 und 10 seien gefährdet, noch die Fahrt für die Klassen 9 und 10 ins ehemalige KZ Auschwitz.