Düsseldorf. Nach zwei eindeutigen Gerichtsurteilen gibt es keine Alternative: Das Land muss Lehrkräften, die Schülerinnen und Schüler auf Klassenfahrten begleiten, die Reisekosten erstatten. Nun will die Regierung den Etat für 2013 vervierfachen.

Die rot-grüne Koalition in Nordrhein-Westfalen will den Schulen in diesem Jahr mehr Geld für Klassenfahrten bereitstellen. Vorgesehen ist, als „erster Schritt“ den Ansatz im Haushalt um mindestens zwei auf knapp acht Millionen Euro zu erhöhen.

Das bisherige Budget reiche höchstens aus, „um an weiterführenden Schulen künftig noch eine mehrtägige Fahrt je Schüler­laufbahn durchführen zu können“, heißt es in einem internen Papier, das der WAZ vorliegt.

Hintergrund sind zwei Gerichtsurteile, die Lehrern den vollen ­Ersatz ihrer Reisekosten zusprechen. Nach Einschätzung von Verbänden sind die Zusatzausgaben für die Schulen nicht finanzierbar und führen dazu, dass Klassenfahrten ausfallen müssen.

Bereits im Dezember seien bei der Schulaufsicht ­Hunderte Anträge von Lehrkräften „auf Vollerstattung“ eingegangen, heißt es in der Vorlage.

Sieben Schüler und zwei Lehrer in Australien

Es war eine denkwürdige Klassenreise, und sie sorgte für viel Aufsehen. Vor einigen Jahren flogen sieben Schüler eines NRW-Gymnasiums nach Australien, begleitet von zwei Lehrern. Fast 1800 Euro kostete die Fahrt pro Schüler, die Rechnung der beiden Lehrkräfte wurde zusätzlich auf die Eltern umgelegt. Erst als eine Beschwerde beim ­Petitionsausschuss des Landtags einging, mussten die Lehrer ihren Reisekostenanteil zurückzahlen.

Im Streit um die Zukunft von Klassenfahrten und die Frage, welches Finanzloch die volle Kostenerstattung für Lehrer in die knapp kalkulierten Etats der Schulen reißt, wird auch über den „pädagogischen Stellenwert“ diskutiert. Schon damals wunderte sich der Ausschuss, für wie viele Schüler eine Fernreise überhaupt finanzierbar ist, und zweifelte, ob „das Erreichen schulischer Ziele und Lerneffekte wirklich abhängig ist von einer Australienfahrt“.

„Muss es immer Rom, Athen oder mehr sein?“

Sigrid Beer, damals Vize-Vorsitzende im Ausschuss, hält eine Selbstbeschränkung der Schulen für geboten. Längst nicht alle Familien seien in der Lage, Fahrtkosten von mehreren hundert Euro zu begleichen, sagt die Fraktionsgeschäftsführerin der Grünen. Zwar hält auch die Diplom-Pädagogin den Schüleraustausch mit Polen, Frankreich oder England für „wertvoll“. Dennoch wünscht sich Beer bei der Wahl des Reiseziels mehr Bescheidenheit: „Muss es ­immer Rom, Athen oder ein Flug über den Großen Teich sein?“

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Über den pädagogischen Nährwert künftiger Klassenfahrten wird zurzeit auch im Schulministerium nachgedacht. Das Ergebnis wird in die Neukonzeption der „Wanderrichtlinie“ einfließen, die auch die Haushaltslage des Landes berücksichtigen soll. Für Ministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) keine leichte Aufgabe: Denn der wachsende Spardruck des Landes kollidiert mit ­absehbaren Mehrausgaben in Millionenhöhe, weil künftig alle Lehrer ihre Reisekosten in voller Höhe ­abrechnen können.

Höhe der Mehrkosten unklar

Die Gewerkschaften haben längst jede Zurückhaltung aufgegeben. „Der Schwarze Peter wird nach unten verschoben“, schimpft Udo Beckmann, Vorsitzender des Verbands VBE. Denn nach einer Verfügung der ­Bezirksregierungen müssten nun die Schulleiter entscheiden, „wie die ­unzureichenden Mittel verteilt werden“. Wie Dorothea Schäfer, Landeschefin der Lehrergewerkschaft GEW, fordert Beckmann, den Reisekosten-Etat des Landes auf zwölf Millionen Euro zu verdoppeln.

Offiziell hält sich die rot-grüne ­Koalition noch bedeckt. Die Haushälter können das Ausmaß fälliger Mehrkosten noch nicht über­blicken. Im Dezember, nach den Richtersprüchen zu den Lehrer-Reisekosten, gingen schon „Hunderte Anträge von Lehrkräften auf Voll­erstattung“ ein, heißt es. Die angepeilte Erhöhung auf acht Millionen Euro im Etat für Klassenreisen ­dürfte kaum ausreichen.