Essen. Die Zahl der Korruptions-Straftaten erreicht einen Höchststand. Deutschland belegt nach Angaben von Transparancy International weltweit abgeschlagen hinter den Skandinaviern Platz 13. Gleichzeitig zieht aber eine neue Strenge im Land ein. Die Frage ist, wo die Grenzen zum Schmiergeld liegen.
EU-Lizenzen sind wertvoll. Spediteure, die das Papier haben, dürfen ihre Dienste zehn lange Jahre europaweit anbieten. Es muss dem Fuhrunternehmer schon 600 Euro wert sein, um sie „beschleunigt“ zu bekommen.
Herr V. wollte diese 600 Euro und in anderen Fällen noch mehr, glauben die Ermittler in Duisburg. V. war Vize im kommunalen Straßenverkehrsamt. Ein Lehrbuch-Beamter. Er war der Herr der Lizenzvergaben. Pech nur, dass der Unternehmer, dem er die Lizenz gegen Bakschisch angedient haben soll, Angebote und E-Mail-Verkehr bunkerte und an Rechnungsprüfer und Kriminalpolizei weiterleitete.
Was darf man annehmen?
Abgesehen davon, dass sich bei dem Amt-Mann noch der Verdacht der freiberuflichen Zuhälterei ergab: Duisburgs Verwaltung hat mit dem Fall V., der in diesen Tagen in ganzer Tragweite aufgeflogen ist, den dritten Korruptionsvorgang binnen kurzer Zeit zu bewältigen.
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Wie verbreitet sind Bestechung und Bestechlichkeit in Deutschland? Das Bundeskriminalamt (BKA) hat in seinem jüngsten Lagebild zwei Trends aufgeschrieben. Erstens: 2010 wurde mit 15 000 Korruptionsstraftaten die höchste Zahl seit 1995 festgestellt. Zweitens: Korruption zwischen Wirtschaftsunternehmen hat zum ersten Mal einen ebenso hohen Anteil daran wie die klassische Bestechung von „Amtsträgern“.
Hans Bonnekoh ist stellvertretender Leiter des Dortmunder Rechnungsprüfungsamtes und zuständig für die Korruptionsbekämpfung. Was dürfen städtische Beamte annehmen, ohne sich schuldig zu machen? „Kaffee und Kugelschreiber gehen durch“, sagt Bonnekoh, „beim spendierten Mittagessen hört der Spaß auf“.
Dortmund glaubt er, ahndet Korruption streng – ohne festgelegten Betrag als Obergrenze. „Jedes Land, jede Kommune hat andere Regeln“, sagt er. Aber wenn er hört, dass das Innenministerium für die Bundesverwaltung die Schwelle des Erlaubten in einem 52-seitigen Knigge-Katalog bei 25 Euro festlegt, hält er das für zu hoch: „Käme bei uns nicht in Frage.“
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Das Aus für die VIP-Lounges
Einerseits nimmt Strenge zu. Die Wirtschaft versuche, durch mehr Sensibilität Skandale zu vermeiden, sagt BKA-Chef Jörg Ziercke. Compliance heißt der Begriff für saubere Unternehmensführung. Die Justiz hat dieser Entwicklung Beine gemacht.
Seit sich der frühere Energiemanager Utz Claassen wegen einer angenommenen Einladung des Stuttgarter Ministerpräsidenten bei der WM 2006 vor dem Kadi verantworten musste, stornieren Firmen reihenweise VIP-Lounges in Fußballstadien, wo sie zuvor gerne Geschäftspartner mit Speis und Spiel gratis bedienten. Längst gelten wirtschaftsweit neue Benimm-Regeln: Möglichst keine opulenten Mittagessen – und ein Tabu für die teure Einladung in ein Wellnesshotel, wenn sie in Zusammenhang mit einer erhaltenen oder erwarteten Geschäftsentscheidung stehen könnte.
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Nach wie vor aber sehen Korruptionsexperten wie der frühere Oberstaatsanwalt Wolfgang Schaupensteiner oder Fachleute von Transparency Lücken im Kampf gegen Bestechlichkeit. Ein „Bundes-Korruptionsregister“ für Firmen, die Schmiergeld verteilt oder angenommen haben? Fehlanzeige. Strafen für Abgeordnete, die Geschenke annehmen? Ohne uns. Nichts ist es mit der Empfehlung auf NRW-Ebene, Verwaltungsmitarbeiter alle fünf Jahre zu versetzen, um sie immun gegen geldwerte Verlockungen zu machen.
Als Rückschlag werten Kritiker vor allem ein Urteil des Bundesgerichtshofes. Danach machen sich Ärzte nicht strafbar, wenn sie Präsente von Pharmafirmen annehmen. Ärzte seien weder Amtsträger noch Beauftragte der Krankenkassen. Zwei Mediziner hatten Schecks über 18 000 Euro kassiert.
In Hagens Ordnungsamt ist man schon bei kleineren Gaben vorsichtig. Ausländische Antragsteller lassen gerne eine Flasche vor der Tür stehen. Wie in der Heimat. Die Stadt warnt ihre Leute vor dem Genuss – und vernichtet den Vorrat.