Essen. . Ein Konzernvorstand von Thyssen-Krupp wurde bereits im Jahr 2006 über das Schienenkartell informiert. Passiert ist daraufhin im Unternehmen allerdings wenig. Insider sprechen von Vertuschung. Ein weiterer Kartellfall wäre für Thyssen-Krupp zum damaligen Zeitpunkt fatal gewesen.

Der Aufsichtsratschef von Thyssen-Krupp, Gerhard Cromme, hat viel getan für die moralische Sauberkeit in der deutschen Industrie. Als Vorsitzender der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex sorgte er für bessere Regeln gegen Machtmissbrauch in Konzernen. In seinem eigenen Haus hatte Cromme aber offenbar nicht alles im Griff.

Nach Recherchen dieser Zeitung waren hochrangige Manager von Thyssen-Krupp jahrelang über ein Schienenkartell im Bilde, mit dessen Hilfe die deutsche Bahn und Dutzende kommunale Betriebe ausgenommen wurden. Der öffentlichen Hand entstand durch die kriminellen Preisabsprachen möglicherweise ein Schaden in Milliardenhöhe. Die Staatsanwaltschaft Bochum ermittelt.

Kartellamt verhängte Millionenstrafe

Wie aus Unterlagen hervorgeht, die unserer Redaktion vorliegen, wurde der zuständige Thyssen-Krupp-Vorstand Edwin Eichler bereits 2006 über das Kartell informiert – ohne dass dieser die illegalen Preisabsprache durch energische Maßnahmen beendet hätte. Im Gegenteil entsteht der Eindruck, verantwortliche Thyssen-Krupp-Manager hätten erfolgreich versucht, das Kartell zu vertuschen. Erst 2011 flogen die Preisabsprachen durch eine Recherche dieser Redaktion auf.

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Nach einjährigen Ermittlungen verhängte das Bundeskartellamt im Juli 2012 eine Strafe in Höhe von 124,5 Millionen Euro gegen die illegale Vereinigung der Schienenhändler. Thyssen-Krupp als Hauptschuldiger musste 103 Millionen Euro an den Bundeshaushalt bezahlen. Aus einem internen Vermerk der polizeilichen Ermittlungskommission „Kartell“ geht nun hervor, dass ein Thyssen-Krupp-Bereichsvorstand seinen Kollegen Eichler 2006 über die illegalen Preisabsprachen informierte.

Ein weiterer Kartellfall wäre für Thyssen-Krupp fatal gewesen

Der Bereichsvorstand war zuvor im Beisein von weiteren Thyssen-Krupp-Managern detailliert von einem Vertreter des österreichischen Konzerns Voestalpine über die Abläufe und Vorgehensweise des Kartells informiert worden. Voest­alpine und Thyssen-Krupp teilten sich damals weitgehend das Geschäft mit den Schienen in Deutschland auf.

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Der Zeitpunkt der Enthüllung im Jahr 2006 war für Thyssen-Krupp brisant: Das Europäische Kommissariat für Wettbewerb trieb ein Kartellverfahren gegen den Konzern wegen Preisabsprachen im Geschäft mit Stahllegierungen voran. Gleichzeitig standen die Ermittlungen wegen der Verwicklung von Thyssen-Krupp in ein Fahrstuhlkartell vor dem Abschluss. Insgesamt drohten allein in diesen beiden Verfahren Strafzahlungen in dreistelliger Millionenhöhe. Ein weiterer Kartellfall wäre fatal gewesen.

Den Unterlagen zufolge beauftragte Eichler nach der Enthüllung seines Kollegen eine interne Untersuchung. Doch diese verlief im Sande. In einem Bericht der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer heißt es lediglich, es habe der Eindruck entstehen können, dass es bei den Schienenproduzenten Preisabsprachen gebe – „letztlich wisse man aber nicht wirklich was.“ Die Anwälte gaben ThyssenKrupp und Vorstand Eichler den Rat, das „Restrisiko“ zu begrenzen. Es gehe darum, nicht nachzufragen und Gesprächen auszuweichen, um nicht offiziell Kenntnis vom Kartell zu erhalten.

Die Verantwortlichen sahen keine Veranlassung zu handeln

Die hausinternen Ermittler hätten indes durchaus schon Bescheid wissen können. Aus den Ermittlungsakten der Bochumer Staatsanwaltschaft geht hervor, dass Thyssen-Krupp-Mitarbeiter schon 2004 bei einer anderen hausinternen Untersuchung über das Schienenkartell ausgepackt hatten. Allerdings hieß es damals, das Kartell sei beendet worden und verjährt. Deswegen sahen die Verantwortlichen 2004 keine Veranlassung zu handeln.

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Was sagt Thyssen-Krupp zu den Vorwürfen? Bei der Untersuchung 2006 seien „keine Verstöße gegen das Kartellrecht“ festgestellt worden. Vor diesem Hintergrund habe Vorstand Eichler seine Aufsichtsräte nicht informiert. Weder der damalige Thyssen-Krupp-Vorstandschef Ekkehard Schulz noch Aufsichtsratschef Gerhard Cromme seien offiziell über die brisanten hausinternen Ermittlungen ins Bild gesetzt worden.

Was sagen die Beteiligten des Kartells dazu? Die Untersuchung im Auftrag von Vorstand Eichler habe allein der „Vertuschung“ gedient, so Aussagen vor der Staatsanwaltschaft Bochum.