Essen. . Ermittler hatten es im Jahr 2011 mit 313 Fällen von Korruption in Nordrhein-Westfalen zu tun – laut Landeskriminalamt ein Anstieg von 8,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Gewerkschaft der Polizei fordert mehr Personal für die aufwändigen Fälle.
Tatort Amtsstube, Tatort Vorstandsbüro: Die Polizei in NRW ermittelt immer häufiger in Fällen von Korruption. Laut einem neuen Lagebild des Landeskriminalamtes hatten es die Ermittler 2011 mit 313 Verfahren zu tun (+8,3% gegenüber 2010). Die Zahl der Verfahren ist damit zum dritten Mal in Folge angestiegen, und Experten gehen von einer weiterhin sehr hohen Dunkelziffer aus.
Polizei und Staatsanwaltschaften stoßen oft auf eine Mauer des Schweigens. Korruptionsfälle sind in der Regel aufwändig. Hinter Verfahren wie dem Bestechungsskandal beim landeseigenen Bau- und Liegenschaftsbetrieb oder der Affäre bei der britischen Rheinarmee verbergen sich Hunderte, mitunter sogar mehrere Tausend Begleitdelikte. „Seit Jahren fordern wir eine bessere Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden. Die steigenden Zahlen unterstreichen die Notwendigkeit dazu“, sagte Edda Müller, Deutschland-Vorsitzende der Antikorruptionsorganisation Transparency International auf NRZ-Nachfrage.
„Kriminalität nur verwalten“
Die Gewerkschaft der Polizei fordert mehr Personal: „Wir können in diesem Bereich Kriminalität nur verwalten, nicht bekämpfen“, sagte Landesvize Adi Plickert. NRW-weit gebe es zur Korruptionsbekämpfung mit Köln, Bochum und dem LKA lediglich drei Fachdienststellen. Das 2005 in Kraft getretene Korruptionsbekämpfungsgesetz wird zurzeit überprüft. Das Justizministerium kündigte an, das Minister Kutschaty auf der Justizministerkonferenz im November einen Gesetzentwurf vorlegen will, der den Tatbestand der Abgeordnetenbestechung voll erfasst.
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Zur Belohnung gab es Wellnessreisen, Ausstattungen fürs Privathaus, Besuche bei Autorennen oder beim Fußball – und Bargeld. Während sich einzelne Zulieferer hemmungslos an der britischen Rheinarmee bereicherten, haben zivile Beschäftigte im Hauptquartier in Mönchengladbach beide Augen zugedrückt. Die Täter müssen sich sehr sicher gewesen sein, ein Beispiel: Bestellte Rohre wurden an die Armee geliefert, abgerechnet, dann teilweise wieder abgeholt – und genau diese Rohre wurden eine Woche später noch mal an die Rheinarmee geliefert (und natürlich auch wieder abgerechnet).
Im Schmiergeld-Skandal bei der Rheinarmee, dem wohl aufwendigsten Korruptionsfall des Jahres 2011, füllten die Akten eine Lagerhalle. Die Ermittler hatten es zeitweise mit 169 Beschuldigten zu tun. In Korruptionsverfahren gehen zentrale Vorwürfe wie Bestechung oder Vorteilsannahme fast immer einher mit einer Vielzahl von Begleitdelikten wie Urkundenfälschung, Strafvereitelung im Amt, Untreue, Steuerhinterziehung. Beim Rheinarmee-Skandal brachten es einzelne Beschuldigte so auf mehrere Tausend Delikte – und kamen vor Gericht dennoch vergleichsweise glimpflich davon.
Härtere Strafen könnten nach Auffassung der Gewerkschaft der Polizei (GdP) der Abschreckung dienen: „Es wäre schon viel gewonnen, wenn Gerichte in solchen Fällen mal nicht nur Geld- oder Bewährungsstrafen verhängen würden“, meinte Landesvize Adi Plickert gegenüber der NRZ. Korruption werde immer noch viel zu sehr als Gentlemen-Delikt wahrgenommen. Seitens der Polizei benötige man mehr Experten im Kampf gegen Korruption. Neben eigenen Leuten müsse es auch die Möglichkeit geben, sich Sachverstand einzukaufen, etwa in puncto Steuerrecht. „Wir brauchen auch Spezialisten von außen“, meinte Plickert.
Die meisten Verfahren werden bei der Polizei in Nordrhein-Westfalen derzeit in Wirtschaftskommissariaten bearbeitet. Das Landeskriminalamt sowie die Polizeibehörden in Bochum und Wuppertal jedoch verfügen über besondere Fachstellen zur Korruptionsbekämpfung mit speziell ausgebildeten Mitarbeitern. „Ihr Einsatz zeigt bei der Anzahl der Ermittlungsverfahren sowie bei den aufgedeckten Großverfahren Wirkung“, heißt es im neuen Lagebild des Landeskriminalamtes. Ausdrücklich hebt es auch den Wert von behördenübergreifender Zusammenarbeit hervor. Durch die stärkere Vernetzung von Kontrollbehörden und Strafverfolgern sei es gelungen, mehr Korruptionsfälle aufzudecken.
Hinweise über das Bürgertelefon des LKA
Eine wichtige Rolle spielen Hinweise. Ein Tipp über das Bürgertelefon des LKA ( 0800 567 78 78) brachte die Ermittler im vergangenen Jahr z. B. auf die Spur eines Vorstandsmitgliedes der inzwischen aufgelösten Seniorenpartei „Die Grauen“. Durch fingierte Spendenquittungen hatte sich der 67-Jährige illegale Gelder in Höhe von rund einer halben Million Euro erschlichen. Das Bürgertelefon des LKA gibt es schon seit dem Jahr 2004. Es soll nun um eine zeitgemäße Hinweisfunktion ergänzt werden: eine webbasierte Tippgeberfunktion auf der Internetseite der Polizei in NRW.