Stadtarchiv-Einsturz in Köln - Baufirmen unter Verdacht
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Köln. Bald vier Jahre nach dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs geht in diesen Tagen die Suche nach der Ursache in die Endrunde. Ingenieure treiben dafür einen 39 Meter tiefen Schacht in die stillgelegte Baugrube. Die Bohrung soll beweisen, dass Baufirmen die Schuld an der Katastrophe trugen.
Zwei A 4-Blätter heften am Bauzaun gegenüber Rudis’s Kneipe. Sie erinnern an Kevin und Khalil, „gestorben beim Einsturz der U-Bahnbaustelle Severinstraße“. Der 17-jährige Bäcker und der Student, 24, sind die Toten des 3. März.
Der 3. März 2009 ist ins Kölner Stadtgedächtnis eingebrannt. Es ist 15 Uhr, als sich die Erde am Waidmarkt auftut. Ein Zehn-Zentimeter-Riss wandert durch die Fassade des Stadtarchivs, verzweigt sich in die Nachbarbauten. Das Gebäudeensemble bricht zusammen. Schüler des Kaiserin-Augusta-Gymnasiums halten, bevor sie fluchtartig die Schule räumen, die Handy-Kamera in die Staubwolke. Ihr Filmchen wird im Internet gerne geklickt. Ein Augenzeugenreport.
Hauseinsturz in Köln
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Bald vier Jahre nach der Katastrophe geht in diesen Tagen die Suche nach der Ursache in die Endrunde. Sie muss ergeben, was das auslösende Ereignis war, das den jungen Menschen den Tod brachte und das durch die Zerstörung von 33 Kilometern wertvoller Archivdokumente einen Schaden von einer Milliarde Euro anrichtete.
39 Meter tiefer Schacht
Die Ingenieure treiben dafür einen 39 Meter tiefen Schacht in die stillgelegte Baugrube. Taucher werden nach dem Loch in der Schlitzwand suchen, die die Grube einst vor einfließendem Grundwasser abdichten sollte — das Loch, von dem Angehörige, Stadt und Staatsanwälte glauben: Es ist da.
Die Beweissicherung kostet 17 Millionen Euro. Vielleicht gibt es im Januar 2014 Ergebnisse. Das Loch wäre letzter Beleg für die Tat. Denn nur durch einen „großflächigen Schlitzwanddefekt“ könnten die Erdmassen in die Grube gerutscht sein, die dem Stadtarchiv „den Boden unter den Füßen wegzogen“, glaubt Jörn Schwarze von den Verkehrsbetrieben.
Ermittler glauben an die Schuld der Baukonzerne
In der Nähe vom Waidmarkt arbeitet Oberstaatsanwalt Thorsten Elschenbroich. Mit dem Team vom Kommissariat 32 hat er nach dem Einsturz Zeugen befragt, Büros durchsucht, PCs und Handys beschlagnahmt. Die Gruppe wühlte sich durch 3000 Stehakten und 7,5 Terrabyte elektronisches Material. Es wären ausgedruckt 350 Millionen Seiten Papier. Die Ermittler sind überzeugt, dass sich die Baukonzerne irgendwann der fahrlässigen Tötung in zwei Fällen verantworten müssen und der Baugefährdung, die „mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren“ zu ahnden ist.
Archivgut wird restauriert
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Die Konzerne sind Filetstücke der Branche. Die Arbeitsgemeinschaft (Arge) aus Züblin, Wayss und Freytag und die am Waidmarkt führende Bilfinger-Gruppe. Sie haben Elite-Anwälte engagiert. Sie glauben nicht an das Loch. Es habe vor dem Unglück einen „hydraulischen Grundbruch“ gegeben. Der Boden unter der Grube sei gerissen, Erde, Kies, Wasser sei durchgerutscht. Ein Naturereignis ohne menschliches Zutun, wie es bei U-Bahn-Bauten schon vorkommt.
„L 11“. Vom Bauzaun aus erkennbar steht das Kürzel an der Betonwand, die schiefer als andere in die Erde gerammt ist. Der mutmaßliche Tatort. Die Ermittler sehen „Auffälligkeiten im Bereich der Lamellen 10 und 11“. Sie haben Indizien gesammelt. Die Schicht unter der Grube ist laut Gutachter unversehrt, ohne Anzeichen eines Grundbruchs. Es gab, zweitens, Ungereimtes im Sommer 2005, als die Schlitzwand gebaut wurde. Damals stieß ein Bagger nicht nur auf ein Hindernis. Mit dem Materialaushub brachte er nach Aussage eines Lkw-Fahrers auch ein verbogenes Metall ans Tageslicht. Gehörte es zur unterirdischen Absicherung? Haben die Bauleute weitergemacht, ohne mögliche Schäden zu identifizieren?
Ermittler unter Zeitdruck
Die Ermittler stehen unter Zeitdruck. Die Verjährung für die Delikte tritt im März 2014 ein. Die Staatsanwaltschaft kann dies verhindern, wenn sie die gegen Unbekannt geführte Untersuchung bis dahin in ein Verfahren gegen konkrete Beschuldigte verwandelt.
Die Wunde im Stadtbild ist offen. Aber Köln lebt weiter. Der nach dem Unglück abgetretene CDU-OB hat einen SPD-Nachfolger. Die Schulen um den Waidmarkt sind repariert. Es gibt Neubaupläne für das Viertel. Das U-Bahn-Netz wächst. Am Bauzaun stecken frische Blumen für Kevin und Khalil.
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