Köln. .

Wasser marsch: Karin Beier flutet die Bühne des Schauspielhauses für Elfriede Jelineks Stück über den Einsturz des Kölner Stadtarchivs. Ein bitterböser, hochkomischer und mitreißender Abend über den Kampf von Mensch und Natur.

Der Tod ist bei Elfriede Jelinek ein Baumeister aus Deutschland. Und sein williger Vollstrecker ist das Wasser. Es tost und stürzt aus allen Rohren, es nimmt alles mit und spült alles weg, es verschlingt Menschen, Häuser, Dokumente. Es braust, bis die Stauwerksmauern wackeln, bis die Erde sich auftut und die Bühne des Kölners Schauspielhauses knöcheltief unter Wasser steht. Das amtierende „Theater des Jahres“ startet seine Spielzeit mit einer furiosen Uraufführung von Elfriede Jelinek. „Ein Sturz“ ist bittere Farce und Requiem für die Vergessenen und Verschütteten, und am Ende prasselt der Applaus auf eine strahlende Intendantin in Glitzerkleid und Gummistiefeln.

Jelineks Epilog „Ein Sturz“ ist die literarische Reaktion der Nobelpreisträgerin auf den Einsturz des Kölner Stadtarchivs 2009, eine ebenso beißend-böse wie kunstvoll-komisch Textsuada, auf die sich das fabelhafte Kölner Ensemble zwischen Amtsstuben-Mobiliar und überquellendem Wasserbecken lustvoll stürzt, sprachgewandt und hochbeweglich bis zum Slapstick.

Da treffen sich die nackte, matschverschmierte Erde (Kathrin Welisch) und das verführerisch-muskulöse Wasser (Krzysztof Raczkowski) schließlich zum aufreizenden Todestanz, da verbünden sich menschliche Hybris und mangelnde Sorgfalt zum folgenreichen Einsturz. Und ganz tief im Kölner Politsumpf sucht die Inszenierung zwischen eingespielten Zitaten von Kleinbürgern und Großpolitikern immer wieder nach dem Ungesagten, Uneingestandenen: Schuld, Sühne, Verantwortung kommen nicht vor, nur Vertragsvereinbarungen, Versicherungsklauseln und Jelineks lakonische Sprachspitzen. „Da zahlt die Stadt noch dafür, dass ihr der Boden entzogen wird!“

Der Kampf von Mensch und Natur

So steht er irgendwann da, der faustische Mensch, der alles erschaffen will, weil er kann, und stopft hilflos eine Socke ins sprudelnde Abwasserrohr, von seinen Mitstreitern auf Schultern getragen.

Der Kampf von Mensch und Natur ist das durchgängige Thema des über dreistündigen Abends, wobei man den „Sturz“ wie das Satyrspiel zu Jelineks „Werk“ lesen kann. Dieses eigentlich unspielbare Monumentalmassiv aus 160 Seiten, mit dem die Autorin an die vielen Zwangsarbeiter-Opfer beim Bau des Kapruner Wasserkraftwerks erinnert, hat Beier im wirkungsvollen Wechsel der Ton- und Tempolagen an den Anfang gestellt. Gefolgt von „Der Bus“, einem Text über den Sturz eines Münchener Linienbusses in eine U-Bahn-Baustellengrube, der von einer Art Kölner Dreigestirn als greller Karnevals-Witz in den Saal hinein getrötet wird. Und Tusch!

Immer wieder findet der klug rhythmisierte Abend voller Sprechchöre und Stimmperformances gerade in seinen musikalischen Momenten zu stärkster Wirkung, an dem die Kölner „Zauberflöten“ als singendes Arbeiterheer ebenso Anteil haben wie Rosemarie Hardys schöner Sopran.

Beiers Eröffnungsinszenierung ist ein Mannschaftssieg, der zwar als gewaltiges Sprach-Solo beginnt, sich bald aber weitet zur großen Ensemble-Choreografie, in dem von Johannes Schütz mit Flaschen und Tischen voll gestellten Wasserlabor.

Da wird gegluckst, geschüttet und gespuckt

Da wird gegluckst und geschüttet. Da wird mit Pfützen und literarischen Quellen gespielt, mit Zitaten und Masken. Bis am Ende Leichen die Bühne pflastern und der Presslufthammer schweigt.

„Glücklich ist, wer vergisst, was doch schon verschüttet ist“, heißt es einmal. Aber das Kölner Theater setzt derzeit auf stadtpolitische Bewusstseinsmachung, sehr zur Zufriedenheit des Publikums. Gespuckt jedenfalls wurde – anders als zuletzt in Düsseldorf – bei diesem Jelinek-Stück diesmal nur auf der Bühne.

Karten: 0221 - 221 28400