Essen. Erstmals seit acht Jahren muss die IHK Essen einen Rückgang bei den Ausbildungsplätzen melden: 127 weniger als im Jahr zuvor. Die Wirtschaft klagt: Es gab nicht genügend geeignete Bewerber. 260 Lehrstellen sind noch frei. Auf der anderen Seite sind noch rund 70 Bewerber unversorgt.

Die Unternehmen in Essen bilden in diesem Jahr weniger aus als im vergangenen Jahr. Nach Angaben der Arbeitsagentur meldeten die Firmen im gerade abgelaufenen Ausbildungsjahr 2011/2012 insgesamt 3742 Lehrstellen. Das waren 127 weniger als im Jahr zuvor.

Vor allem die Industrie und der Handel geben sich zurückhaltender. Bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Essen wurden 2725 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen - ein Minus von über sechs Prozent gegenüber dem Vorjahr. Es ist laut IHK der erste Rückgang seit acht Jahren. „Bis August lagen wir noch auf Vorjahresniveau. Aber bei den Nachzügler-Lehrstellen gab es einen Einbruch“, sagte der stellvertretende Geschäftsführer Heinz-Jürgen Guß. Er vermutet, dass die Unternehmen zum einen keine geeigneten Bewerber mehr gefunden haben. Zum anderen seien aber auch die „nicht mehr so rosigen“ Konjunkturaussichten Schuld.

Im Gegensatz dazu verbuchte das Essener Handwerk Mitte Oktober ein Plus von zwei Prozent, sagte Ulrich Meier, Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft.

Viele in der Warteschleife

Rein rechnerisch reichte die Zahl der angebotenen Lehrstellen nicht aus, um alle gemeldeten Bewerber zu versorgen. Auf jeden Jugendlichen kamen 0,69 Ausbildungsplätze. Viele Schüler gingen in die Warteschleife, machen ein freiwilliges soziales Jahr, besuchen weiter eine Schule oder begannen eine überbetriebliche Ausbildung.

Dennoch suchten Mitte Oktober noch fast 100 Bewerber eine Lehrstelle. Aktuell dürfte diese Zahl auf 70 gesunken sein. Torsten Withake, Chef der Arbeitsagentur: „Das sind etwas weniger als im Vorjahr.“ Dem gegenüber gibt es derzeit noch 210 freie Lehrstellen in Essen. Vor allem Verkäufer, Köche, Drogisten und Restaurantfachkräfte werden laut Arbeitsagentur gesucht.

Auch im Handwerk seien viele Stellen unbesetzt geblieben, sagte Meier. „Leider. Aber wie auch in einigen anderen Bereichen der Wirtschaft konnten nicht genug geeignete Jugendliche gefunden werden“, sagte er. Nach seiner Einschätzung ist jeder vierte Schulabgänger nicht ausbildungsreif. Meier warnte: „Viele fallen durch das Raster. Um zu helfen, müssen wir genau wissen, wer das ist.“

Aus Sicht der Kreishandwerkerschaft und der IHK entscheiden sich zu viele Jugendliche nach der Schule für eine weiterführende Schulausbildung. „Viele geben zu schnell auf, wenn sie eine Absage auf eine Bewerbung erhalten“, glaubt IHK-Vize Guß. Meier geht noch weiter: Statt weiter die Chance auf eine Berufsausbildung zu nutzen, „melden sie sich im Berufskolleg an und lehnen sich fortan zurück.“

Schüler häufig noch unentschlossen

Viele Schüler wissen trotz vieler Bemühungen und Projekte in den Schulen bis zum Schluss nicht, welchen beruflichen Weg sie einschlagen sollen. Wie der 18-jährige Jamal Alouia, der die Hauptschule an der Wächtlerstraße besucht. In den nächsten Tagen wird der Zehntklässler ein Praktikum im Einzelhandel machen. „Wenn mir das nicht gefällt, gehe ich vielleicht weiter zur Schule. Ich bin noch ziemlich unentschlossen.“

Eine Erfahrung, die Schulleiterin Roswitha Tschüter häufig macht. „Viele können sich nicht entscheiden.“ Oft sei das Elternhaus auch keine Entscheidungshilfe mehr.