Berlin. Wenn Schüler die Schule wechseln, dann meist zu einer niedrigen Schulform: vom Gymnasium auf die Realschule oder von der Real- auf die Hauptschule. die Hauptschule entwickelt sich in NRW zum Auffangbecken. Der Schlüssel zum Erfolg sei die Förderung jedes einzelnen Schülers.
Wer in Deutschland die Schule wechselt, für den
geht es meist bergab. Nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung finden solche
Wechsel mehr als doppelt so häufig in eine niedrigere Schulform statt als
umgekehrt. Im Schuljahr 2010/11 gingen rund 50.000 Schüler zwischen Klasse fünf
und zehn vom Gymnasium ab auf die Realschule oder wechselten von der Real- auf
die Hauptschule. Den umgekehrten Weg nach oben schafften mit etwa 23.000
deutlich weniger. "Der Fahrstuhl geht meist nach unten", sagte Jörg Dräger,
Bildungsexperte und Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung, am Dienstag in
Berlin.
Alle 16 Bundesländer bauen ihre Schulsysteme um, nicht zuletzt aus
Erfahrung der internationalen Pisa-Studie, wo Deutschland lange recht schlecht
abgeschnitten hat. Beim Thema Durchlässigkeit sehen die Autoren der Studie
keinen Königsweg: "Es gibt keinen klaren Sieger", sagte die Bildungsforscherin
Gabriele Bellenberg von der Ruhr-Universität Bochum.
Während in Niedersachsen
auf einen Aufsteiger mehr als zehn Absteiger kommen, liegt die Quote in Bayern
etwa bei eins zu eins. In Bayern allerdings sei der Übergang von der Grund- zur
Oberschule sehr restriktiv, sagte Bellenberg. Schulwechsler müssten zudem meist
die fünfte Klasse zweimal machen. "Der Aufstieg wird mit einer
Klassenwiederholung erkauft", sagte Bellenberg.
Hauptschule als Auffangbecken
Ein Ergebnis der Studie sei, dass sich die Hauptschule in einigen
Ländern wie Nordrhein-Westfalen, Hessen und Niedersachsen zur Restschule und zum
Auffangbecken von Absteigern entwickle. In den drei Ländern wechseln auf diesen
Schultyp nur noch zehn Prozent der Grundschüler. Im Laufe der Sekundarstufe I
bekommen die Hauptschulen aber Zulauf durch Absteiger. Jeder dritte
Zehntklässler in Niedersachsen sei ein Absteiger, in NRW sei es jeder vierte.
Dieser Wechsel wirke auf viele Schüler demotivierend. Mehr Aufstiegspotenzial
gibt es der Studie zufolge in Ländern wie Baden-Württemberg, wo anfangs 25
Prozent von der Grund- auf die Hauptschule wechseln.
Für das Ziel von mehr Chancengerechtigkeit und Durchlässigkeit ist
die Frage des Schulsystems nach Einschätzung der Bildungsexperten nachrangig.
"Man kann gute Schule mit jeder Struktur machen",
sagte Dräger. Der Schlüssel zum Erfolg sei die Förderung jedes einzelnen
Schülers. "Wir müssen das Lernen individualisieren." Denn auch in vermeintlich
homogenen Schulsystemen bleibe die Unterschiedlichkeit der Schüler bestehen.
Dafür müssten die Lehrer besser aus- und weitergebildet werden. Zudem plädierte
der frühere Hamburger Wissenschaftssenator für mehr Ganztagsschulen. Wenn die
individuelle Förderung überall fest verankert sei, würden laut Dräger
Sitzenbleiben und Abstieg auf eine andere Schulform letztlich überflüssig. (rtr)