Berlin. . Nachdem die grüne Basis ihre bisweilen schrille Parteichefin Claudia Roth abgewatscht hat, streichelt die Parteispitze ihre Seele – um sie als Frontfrau zu halten. Auch die Parteifreunde aus NRW wollen, dass Roth die Partei weiter führt. Immerhin gilt Claudia Roth für viele als „Mutter der Partei“.

Bunt, schrill, laut: Auftritte von Claudia Roth sind in der Regel visuell und verbal höchst unterhaltsam. Etwa wenn die Grünen-Chefin mal wieder grüne und rosa Klamotten kombiniert, erst wie ein Honigkuchenpferd strahlt und dann wie ein kurzatmiger Kesselflicker auf Schwarz-Gelb einprügelt.

Gestern aber wirkte Roth wie ein Trauerkloß. Schwarz gekleidet trat die Ur-Grüne nach zweitägiger innerer Emigration vor die Presse. Mit erstickter Stimme kündigte sie an, dass sie auf dem Parteitag in Hannover wie geplant um den Vorsitz kandidieren wolle. Dabei machte die 57-Jährige keinen Hehl daraus, wie sehr sie die „herbe Schlappe“ bei der Urwahl zum Spitzenkandidaten-Duo für die Bundestagswahl schmerzt.

Mutter der Partei

Dass sie mit 26,2 Prozent der Stimmen hinter Kirchenfrau Katrin Göring-Eckardt und – schlimmer noch – hinter der Berlinwahl gerupften Fraktionschefin Renate Künast landete, ist für Roth nicht nur deshalb bitter, weil sie die Urwahl ins Rollen brachte. Die Parteivorsitzende ist an der Basis eigentlich beliebt und bekannt dafür, dass sie selbst den Kreisverband in der Pampa abklappert. Auch deswegen gilt Roth bei manchen Grünen als „Mutter der Partei“.

Seit 1985 ist die studierte Theaterwissenschaftlerin und frühere Managerin der Rockband „Ton, Steine, Scherben“ bei der Ökopartei: erst als Pressesprecherin, dann Europaparlamentarierin, Bundestagsabgeordnete und seit 2001-- mit Unterbrechung – als Parteichefin. Mehr grüne Ochsentour war selten. Und niemand war länger auf der Brücke des Ökodampfers als die kämpferische Bayerin, die privat „furchtbar verletzlich“ ist.

Nun müssen Delegierten entscheiden

Zweifel hätten sie durchgeschüttelt, sagte Roth gestern. Doch es gehe in erster Linie nicht um sie, begründete sie dann ihre Kandidatur. Sondern um das Ende von Schwarz-Gelb. Dafür wolle sie alles tun. Nun müssten die Delegierten entscheiden, ob sie ihr das Amt zutrauten.

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Daran zweifelt bei den Grünen kaum jemand. Bei dem Parteitag kann Roth mit einem Topergebnis als Trostpflaster rechnen. So hatten am Wochenende hunderte Basis-Grüne die Parteichefin via Email oder Twitter zum Bleiben aufgefordert. So gut wie jeder Grüne mit Rang und Namen streichelte die geschundene Roth’sche Seele mit Weitermach-Bitten. Denn ein Abgang hätte die Grünen in eine veritable Führungskrise gestürzt. Binnen einer Woche hätten sie eine Kandidatin – bitteschön aus dem linken Lager – für den Vorsitz aus dem Hut zaubern müssen. Dort stehen die Nachrückerinnen wahrlich nicht Spalier.

„Wir brauchen Claudia“

Entsprechend groß war die Erleichterung, als Roth ihren Verbleib ankündigte. „Wir brauchen Claudia“, gab Göring-Eckardt zu Protokoll. Er freue sich, sagte Trittin. Von einer „sehr guten Entscheidung“ sprach Fraktionsvize Bärbel Höhn, die nicht davon ausgeht, dass Roth nun geschwächt ist.

Darauf können die Grünen nur hoffen. Denn im Wahlkampf ist Roth unverzichtbar. Mit ihrem emotionalen Politikstil kann die Menschenrechtsexpertin zwar nerven und polarisiert wie kaum eine zweite. Doch sie beherrscht den verbalen Frontalangriff gegen Schwarz-Gelb perfekt und kann das linke Lager der Grünen mobilisieren. Dafür punktet sie weniger bei den Realos. Bereits im Sommer stänkerte Boris Palmer, das Spitzenduo Trittin und Roth vertrete nicht die Partei in ihrer Breite. Dies mag ein Grund sein für den Liebesentzug vieler Basis-Grüner.

Eine andere Ursache mag sein, dass Roth auch ohne Spitzenkandidatur eine prominente Rolle im Wahlkampf spielt. Sofern sie Parteivorsitzende bleibt. Dann muss sie auch weiterhin die Schattenseiten des Politikbetriebs erdulden. Etwa die Einsamkeit. „Man ist eine vollkommen öffentliche Person, geht abends in ein Hotelzimmer und plötzlich ist es leer“, klagte die Single-Frau in einem Interview. Dies wird sie weiter ertragen. Denn nur wenige leben so sehr für die Politik wie sie.

Viel Unterstützung in NRW

Die Führungsspitze der nordrhein-westfälischen Grünen will beim Bundesparteitag am Wochenende die erneute Kandidatur von Parteichefin Claudia Roth unterstützen. „Wir hoffen auf ein gutes Ergebnis, das sie für den Wahlkampf stärkt“, sagte Landesvorsitzender Sven Lehmann den Zeitungen der WAZ-Mediengruppe, „wir können nur im Team gewinnen.“ Ähnlich äußerte sich Co-Vorsitzende Monika Düker.

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Dass Claudia Roth durch ihre Schlappe bei der Urwahl zur Spitzenkandidatin auch an der Parteispitze geschwächt ist, wird bei den nordrhein-westfälischen Grünen offiziell bestritten. Allerdings macht man es im größten Landesverband vom Ausgang der Bundestagswahl abhängig, wie lange sie im Falle ihrer Wiederwahl als Vorsitzende noch amtieren wird. Sollten die Grünen den Sprung in die Regierung verpassen, „ist sie weg“, heißt es.

Die überraschende Wahl von Katrin Göring-Eckardt zur Spitzenkandidatin sei kein Signal für eine Koalition mit der CDU, meinte Lehmann. „Unser Spitzen-Duo ändert nichts an unserem Programm“, sagte er, „wir wollen gemeinsam mit der SPD die schwarz-gelbe Bundesregierung ablösen.“ Katrin Göring-Eckardt stehe durchaus für linke Themen wie Umverteilung und habe sich politisch mit dem Kampf gegen Armut und für soziale Gerechtigkeit profiliert. Schwarz-Grün sei kein Thema mit einer CSU, die für eine „antieuropäische Politik“ und „Frauen zurück an den Herd“ stehe.