Berlin. Im ersten Schlagabtausch zwischen Kanzlerin Angela Merkel und ihrem SPD-Gegenkandidaten hat der Herausforderer die Amtsinhaberin frontal angegriffen. Noch fehlt ihm der Erfolg: In Umfragen liegt Merkel vor Peer Steinbrück. Sie bleibt gelassen und konzentriert sich auf den EU-Gipfel.

Es ist das erste Rededuell, bei dem die Kanzlerin und ihr frisch gekürte Herausforderer aufeinandertreffen. Ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl zielt aber vor allem einer auf den politischen Gegner: Peer Steinbrück nimmt am Donnerstag im Bundestag Amtsinhaberin Angela Merkel aufs Korn, wirft ihr in der Europa-Politik "Kleinmut" vor, "Doppelspiel", "innenpolitische Händel".

Die Kanzlerin sei eine Getriebene, die er ermahnt, dass sie den Bürgern ihre Politik erklären müsse: "Das ist Ihre Pflicht." Die Kanzlerin erwähnt den SPD-Kanzlerkandidaten dagegen mit keinem Wort, spricht ihn auch nicht an. Statt Kritik geht sie auf die Opposition zu: "Trotz aller Gegensätze haben wir uns immer wieder zusammengerauft. Dafür möchte ich Danke sagen", flötet die CDU-Vorsitzende.

SPD überlässt ihrem Kanzlerkandidaten die Bühne

Steinbrück spricht die Kanzlerin gleich im ersten Satz an: "Ebenso wie Sie, Frau Bundeskanzlerin, freuen wir Sozialdemokraten uns über die Verleihung des Friedensnobelpreises an die Europäische Union." Er pflichtet der Regierungschefin bei, die zuvor gesagt hatte, Europa sei mehr als seine Währung. "Ja, Frau Bundeskanzlerin, was Europa zu bieten hat, ist einmalig in der Welt."

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Dann ist es mit den Freundlichkeiten vorbei. Indirekt attestiert Steinbrück der Kanzlerin zwar, dass sie mit größerer Leidenschaft als zuvor über Europa gesprochen habe, mahnt aber: "Diese Rede und diese Beschreibung Europas, die hätten Sie schon vor zwei Jahren geben müssen."

Steinbrück poltert nicht, er will unterhalten. "Wahlkampf soll auch Spaß machen", hat er nach seiner Nominierung durch den SPD-Parteivorstand am 1. Oktober gesagt. Er kritisiert Merkel, aber stets in einem Ton, der ihm sichtlich Vergnügen bereitet.

Steinbrück-Nominierung geht für die SPD noch nicht auf

Einwürfe aus den Reihen der Koalition zu seinen hoch dotierten Nebeneinkünften als Vortragsreisender pariert er mit einer Anspielung darauf, dass sich Union und FDP keine zwei Stunden früher in einem Ausschuss des Ältestenrates gegen eine Offenlegung aller Abgeordneteneinkünfte gesperrt haben.

Am Ende spricht Steinbrück 27 Minuten, die Kanzlerin ohne Redezeitbegrenzung 41 Minuten. Dabei hat die SPD ihrem Kandidaten schon die Bühne und ihre gesamte Redezeit überlassen, mit gutem Grund. Denn anders als Merkel, die am Abend bereits wieder vom EU-Gipfel über die TV-Bildschirme flimmern wird, dringt der Herausforderer bislang nur selten in die Wohnstuben der Wähler vor.

Der positive Effekt seiner Nominierung in den Umfragen erwies sich als kurzlebig, wie eine Forsa-Umfrage am Mittwoch zeigte: Die SPD hat demnach wieder leicht verloren, der Abstand zwischen Merkel und ihrem Herausforderer ist gewachsen.

Merkel überlässt Kauder und Brüderle die Gegenattacken 

Die Kanzlerin vermeidet gerade deshalb jeden Eindruck, dass sie sich in die Tiefen des Wahlkampfes herablassen könnte. Sie umgarnt schon fast die Opposition - nach Einschätzung aus der SPD im Kalkül darauf, dass die Sozialdemokraten auch bei weiteren Hilfen für Griechenland nicht im Regen stehenlassen werden.

Zu Attacken holt Merkel in keinem Moment aus. Das überlässt sie bewusst den Fraktionschefs von Union und FDP, Volker Kauder und Rainer Brüderle. Kauder etwa wirft Steinbrück Dünnhäutigkeit und Arroganz vor: "Sie sind sehr gut im Austeilen, aber sie müssen auch gut werden im Einstecken." Brüderle nimmt sich widersprüchliche Aussagen des Kandidaten etwa zu Griechenland vor.

Merkels macht zeigt sich in Berlin - und in Brüssel

Merkels eigentliches Publikum sitzt diesmal auch gar nicht im Bundestag, sondern auf den Europa-Rängen. Die Kanzlerin will den EU-Partnern vor dem Beginn des Gipfels in Brüssel nochmals klarmachen, wohin Deutschland marschieren will. Das vermittelt auch den erwünschten Eindruck: Die Kanzlerin macht die EU-Politik, die Opposition trägt sie mit.

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Darauf setzt Merkel, auch um der Opposition den Wind aus den Segeln zu nehmen. Sie will den Raum einengen für Kritik, die über "zu spät, zu wenig" hinausgeht. Ihre Augenhöhe ist nicht die eines designierten Kanzlerkandidaten, sondern die mit 26 anderen EU-Regierungschefs.

Steinbrück seinerseits versucht, diese Augenhöhe erst noch herzustellen. Europa dürfe nicht reduziert werden auf eine regierungsamtliche Veranstaltung zwischen 25 Männern und zwei Frauen, sagt der Mann, der eine der Frauen in weniger als einem Jahr aus dem Amt drängen will. (rtr)