Beirut/Istanbul. Nach dem Tod von fünf Zivilisten durch Granatenbeschuss aus Syrien hat die Türkei Vergeltungsangriffe gestartet. Der Nato-Rat wurde noch für den Abend zu einer Dringlichkeitssitzung einberufen. US-Außenministerin Clinton äußerte sich “entrüstet“ darüber, dass aus Syrien über die Grenze geschossen wurde.

Gefährliche Eskalation an der syrisch-türkischen Grenze: Eine aus Syrien abgefeuerte Granate schlug in einem Haus des türkischen Grenzortes Akcakale ein und tötete nach Angaben der türkischen Regierungspartei AKP fünf Menschen, darunter einen sechsjährigen Jungen. Das Büro des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan teilte am Abend mit, die Artillerie habe daraufhin Ziele in Syrien beschossen, die mit Radar erfasst worden seien. Türkische Sicherheitskreise vermuteten, dass die in Akcakale eingeschlagene Granate von syrischen Regierungstruppen abgefeuert wurde.

"Die Türkei wird solche Provokationen des syrischen Regimes, die unsere nationale Sicherheit bedrohen, niemals ungestraft lassen", erklärte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan am Mittwochabend in Ankara. Der NATO-Rat wurde noch für den Abend zu einer Dringlichkeitssitzung einberufen.

Nato beobachtet Konflikt "mit großer Sorge"

Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu telefonierte wegen des Granatenbeschusses von Akcakale mit Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und dem internationalen Syrien-Sondergesandten Lakhdar Brahimi. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP), der sich auf einer Feier zur deutschen Einheit in der deutschen Botschaft in Paris aufhielt, sagte, er wolle sich erst zu den Vorgängen äußern, wenn er mit seinem türkischen Kollegen Davutoglu darüber gesprochen habe.

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Das Militärbündnis beobachte die Lage "mit großer Sorge", sagte Rassmussens Sprecherin Oana Lungescu in Brüssel. Der Generalsekretär habe den Vorfall "scharf verurteilt". US-Außenministerin Hillary Clinton äußerte ihre "Entrüstung" darüber, dass aus Syrien über die Grenze geschossen worden sei. "Wir bedauern den Verlust von Menschenleben auf der türkischen Seite", sagte Clinton. Der UN-Generalsekretär bat den türkischen Außenminister, er möge "alle Kommunikationswege" zur syrischen Regierung aufrechterhalten, um "aus dem Vorfall resultierende Spannungen zu vermindern".

Unklare Lage auf den Golanhöhen

Auch an den südlichen Nachbarn Israel rückte der syrische Bürgerkrieg näher heran: An der Waffenstillstandslinie auf den von Israel kontrollierten Golanhöhen versammelten sich Dutzende bewaffneter Männer. Die israelischen Behörden versetzten daraufhin die Streitkräfte in der Region in Alarmbereitschaft und schlossen einen Ausflugspunkt. Israelische Sicherheitskräfte bezeichneten die Lage als unklar. So sei nicht bekannt, ob es sich bei den Männern in ziviler Kleidung um syrische Soldaten oder Rebellen handelte. Es habe keine Versuche gegeben, die Waffenstillstandslinie mit Gewalt zu überschreiten.

In Syrien selbst wurde die umkämpfte Handelsmetropole Aleppo von drei Selbstmordanschlägen erschüttert, die mindestens 33 Menschen in den Tod riss. Es habe viele zum Teil schwer verletzte Menschen gegeben, meldeten syrische Medien und Rebellen. Mehrere Gebäude stürzten ein und begruben vermutlich weitere Menschen in den Trümmern.

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Drei Attentäter zündeten getrennt voneinander auf dem Platz Saadallah al Dschari im Zentrum der Stadt ihre Autobomben in der Nähe eines Offiziersclubs. Zunächst bekannte sich niemand zu den Anschlägen. Die Regierung in Damaskus machte die von ihr als "Terroristen" bezeichneten Rebellen verantwortlich. Es gibt aber auch zunehmend Befürchtungen, dass die Terrorgruppe Al-Kaida in Syrien tätig wird.

"Wie eine Serie von Erdbeben"

Staatliche syrische Medien berichteten, der Offiziersclub und ein Hotel seien fast vollständig zerstört worden. Eine weitere Bombe explodierte einige hundert Meter entfernt in der Nähe der zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörenden Altstadt. "Es war wie eine Serie von Erdbeben", sagte ein Bewohner des Viertels, der seinen Namen nicht nennen wollte.

Das Gebiet wird von Regierungssoldaten kontrolliert. Die Rebellen starteten in der vergangenen Woche eine neue Offensive in Aleppo. Die Eroberung der Stadt wäre ein strategisch wichtiger Erfolg. Die Rebellen hätten dann eine nördliche Basis, in der sie aus der Türkei versorgt werden und dann den Kampf gegen die Regierung von Präsident Baschar Assad weiter ins Land tragen könnten.

Seit Beginn des Aufstands gegen die Regierung von Assad im März des vergangenen Jahres sind nach Schätzungen von Aktivisten mehr als 30.000 Menschen getötet worden. (dapd)