Berlin. . Die Tötung der Polizistin Michèle Kiesewetter wird der Zwickauer Neonazi-Zelle angelastet. Doch wie die Frau ins Visier der Bande geriet, ist weiterhin unklar. “Das Verbrechen passt nicht in die Serie der anderen neun Morde“, sagt einer der Politiker, die den Fall im NSU-Untersuchungsausschuss nachzuvollziehen versuchen.

Für den CDU-Bundestags-Abgeordneten Clemens Binninger ist der Fall „in vieler Weise unerklärlich“. Auf Bildschirmen lässt er den Stadtplan von Heilbronn zeigen, so dass jeder im Saal die markierten Stellen sehen kann. Sie zeigen an, wo die Polizistin Michèle Kiesewetter am 25. April 2007 erschossen wurde, wo Zeugen Beobachtungen machten. Wer für ihren Tod verantwortlich ist, scheint geklärt: Die Terrorzelle des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU). Bleibt die Frage: Warum musste die 22-Jährige sterben?

Binninger sitzt im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags, die Gegend ist ihm vertraut, der CDU-Mann vertritt den Wahlkreis Böblingen, von Beruf ist er Polizeioberrat. Er will es genau wissen, ist an jedem Detail interessiert. Der zehnte und letzte Mord, der Schlusspunkt der Serie, ist der seltsamste Fall. Es fehlt ein Motiv, aber es gibt keinen Mangel an wirren Theorien über Mafiosi, den Ku-Klux-Klan und Geheimdienste. Für Aufklärung könnte Beate Zschäpe sorgen, die 37-jährige mutmaßliche Terroristin, die in Untersuchungshaft sitzt – und bisher unerbittlich schweigt.

DNA-Spuren auf einer Hose

Halbwegs sicher ist, dass sie und die verstorbenen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos mit einem Mietwagen von Zwickau nach Heilbronn fuhren. Die Waffen, mit denen die junge Polizistin getötet und ein Kollege schwer verletzt wurden, eine Tokorew TT-33 und eine Random VIS 35, fand man beim NSU-Trio. DNA-Spuren auf einer Hose, die in Zschäpes Wohnung gefunden wurde, sind eindeutig Kiesewetter zuzuordnen.

Außerdem fand man die Dienstwaffen und die Handschellen der Polizisten. War es eine reine Beschaffungstat? Das Verbrechen passe „nicht in die Serie der anderen neun Morde“, gibt CDU-Mann Binninger zu bedenken. Alle anderen Opfer waren Männer, hatten Migrationshintergrund, acht Türken und ein Grieche, und wurden mit einer anderen Waffe getötet, einer Ceska. Kiesewetter stammt wie ihre mutmaßlichen Mörder aus Thüringen, aus Oberweißbach, weshalb man sich bis heute fragt, ob sie sich kannten, ob es vielleicht eine Beziehungstat, ein Racheakt war oder ob es sie zufällig traf; sei es, weil man willkürlich auf Polizisten schoss, sei es, weil man ihre Waffen wollte. Anders als die Frau hat ihr Kollege die Schüsse überlebt. Er kann sich aber an nichts erinnern.

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Die beiden Streifenpolizisten hatten auf einem Parkplatz an der Theresienwiese Pause gemacht. Die Polizistin steckte sich eine Zigarette an und packte ein Baguette aus, das sie in einer Bäckerei gekauft hatte, als die Täter sich von beiden Seiten dem Auto nähern und sofort das Feuer eröffnen.

Die Zeugenaussagen von der Flucht widersprechen sich. Die einen wollen drei Männer gesehen haben, andere wiederum zwei Männer und eine Frau. Die einen behaupten, dass sie gen Norden fuhren, wieder andere sagen: Richtung Süden. Ein Zeuge berichtet, wie ein Mann in einen Wagen sprang, wegfuhr und „dawei, dawei“ rief. Das ist russisch und bedeutet „los, los“.

Falsche DNA-Spuren

Von Anfang an tippt die Polizei auf Mafiosi, Killer. Dazu passen auch die DNA-Spuren in weiteren Kriminalfällen. Erst Jahre später wird man feststellen, dass sie alle kontaminiert waren. Die Spuren entstanden bei der Produktion der Wattestäbchen, mit denen die Beamten DNA-Proben entnehmen.

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Rechtsextremisten vermutet niemand. Der „Stern“ berichtet, US-Geheimagenten seien Zeugen der Tat gewesen. Auch das lässt sich nicht erhärten. Gesichert ist aber, dass zwei Vorgesetzte der Polizistin Mitglieder des Ku-Klux-Klans in Baden-Württemberg waren. Aber das war, bevor Kiesewetter in den Staatsdienst eintrat. „Wir haben keine Tatrelevanz gefunden“, versichert Axel Mögelin, einer der Ermittler. Er tappt, wie die Aufklärer im Untersuchungsausschuss, weiter im Dunkeln.