Berlin. Ein Ärztestreik in Deutschland wird immer wahrscheinlicher. Nachdem die Verhandlungen zwischen Medizinern und Krankenkassen um höhere Honorare gescheitert sind, rufen die Ärzteverbände nun zur Urabstimmung über Praxisschließungen auf. Bereits in der kommenden Woche drohen erste “harte Maßnahmen“.

Wegen der ergebnislosen Honorarverhandlungen für die niedergelassenen Ärzte könnte es noch im September zu ersten Warnstreiks und Praxisschließungen kommen. Die freien Ärzteverbände wollen ihre Mitglieder dazu in einer Urabstimmung befragen. Dass teilte der NAV-Virchowbund am Montag nach einer Schaltkonferenz der Verbände in Berlin mit. Nach Ende der Urabstimmung am Mittwoch nächster Woche könnte es bereits zu ersten Protestaktionen kommen.

Bereits in der kommenden Woche wollen die Ärzteverbände "erste harte Maßnahmen" starten, die zunächst nur die Krankenkassen betreffen werden, wie es in der gemeinsamen Mitteilung der mehr als 20 Verbände hieß. Dabei sei vor allem das interne Umverteilungssystem der Krankenkassen im Visier. Betroffen sein könnten unter anderem Anfragen für das Kostencontrolling.

Gestiegene Praxiskosten und Inflation

Die Ärzteverbände, darunter Berufsverbände der Internisten, Hautärzte und Kinderärzte, warfen den Krankenkassen eine Blockadehaltung bei den Honorarverhandlungen vor. Der Spitzenverband der Krankenkassen habe sich derart "kompromisslos" gezeigt, dass die Ärztevertreter gezwungen gewesen seien, die Verhandlungen abzubrechen.

Ärzte streiken

Rund 300 Ärzte demonstrierten heute in Bochum für Tarifverträge. Die Mediziner sind im Marburger Bund organisiert und arbeiten in den Krankenhäusern der Rentenversicherungsträger. Foto: © Ingo Otto
Rund 300 Ärzte demonstrierten heute in Bochum für Tarifverträge. Die Mediziner sind im Marburger Bund organisiert und arbeiten in den Krankenhäusern der Rentenversicherungsträger. Foto: © Ingo Otto © Ingo Otto
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Rund 300 Ärzte demonstrierten heute in Bochum für Tarifverträge. Die Mediziner sind im Marburger Bund organisiert und arbeiten in den Krankenhäusern der Rentenversicherungsträger. Foto: © Ingo Otto
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Die Spitzenvertreter der Kassenärzte hatten am Montag überraschend die Gespräche mit dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) in Berlin platzen lassen. Beide Seiten wollen nun zunächst im kleinen Kreis nach einer Lösung suchen.

Die Ärzte lehnten eine Entscheidung des Schlichtergremiums, das den Kassenärzten für das nächste Jahr eine Honorarerhöhung von 270 Millionen Euro oder 0,9 Prozent zugestanden hat, ab. Die KBV fordert für die rund 150.000 niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten dagegen insgesamt 3,5 Milliarden Euro, was ein Plus von rund elf Prozent wäre. Begründet wurde dies mit den gestiegenen Praxiskosten und der Inflation.

Vertragsärztliche Versorgung ist offenbar gefährdet

Nach Ansicht der Ärzte würde die geplante Honorarerhöhung einen realen Einkommensverlust in Höhe von zehn Prozent bedeuten. Dadurch werde die Aufrechterhaltung der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung gefährdet, warnten sie. Neben den Warnstreik-Drohungen kündigte KBV-Vorstand Andreas Köhler an, Klage gegen den Schlichterspruch einzureichen.

Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) will die Honorarverhandlungen zwischen Ärzten und Krankenkassen auf etwaige Verfahrensfehler überprüfen. Dabei spiele das Ergebnis der Verhandlungen jedoch ausdrücklich keine Rolle, betonte ein Ministeriumssprecher am Montag in Berlin. Es werde lediglich kontrolliert, ob alle "rechtlichen und formalen" Richtlinien eingehalten worden seien.(afp/dapd)

Die Standpunkte bei den Kassenreserven

Trotz Honorarsteigerungen in Millionenhöhe geben sich die Ärzte unzufrieden und fordern weiteres Geld.

Hauptargument der Ärzte ist der Inflationsausgleich, den sie geltend machen wollen. Doch das ist wohl nicht alles.

Die gesetzlichen Krankenkassen sitzen förmlich auf den Milliarden. Fast 20 Milliarden Euro Reserven haben sie angehäuft.

9,9 Milliarden liegen auf den Konten der Kassen und 9,5 Milliarden sind im Gesundheitsfonds angelaufen.

Die Ärzte sind nicht die Einzigen, die an die Kassenreserven ran wollen.

Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) fordert von Kassen mit hohen Überschüssen, Prämien an ihre Versicherten auszuschütten.

Diese Möglichkeit sei gesetzlich vorgesehen und werde von zu wenigen Kassen genutzt, so Bahr.

Auch das Bundesversicherungsamt verlangt von Kassen Beitragsrückzahlungen zu prüfen.

Bahr will die Praxisgebühr abschaffen, was durch Rücklagen der Kassen finanziert werden müsste. Die Union sperrt sich dagegen.

Der GKV-Spitzenverband verbittet sich Ermahnungen aus der Politik zum Thema Prämien und betont die Autonomie der Kassen.

Der Vorsitzende des AOK-Bundesverbands, Jürgen Graalmann, warnt vor "Prämienjojo", ...

... denn die Kassen müssten die in guten Zeiten angesparten Rücklagen für wirtschaftlich schwerere Zeiten aufbewahren.

Das Finanzministerium wittert die Möglichkeit, die Kassenmilliarden für die Konsolidierung des Bundeshaushalts zu nutzen.

Der Fiskus pumpt jährlich 14 Milliarden Euro in den Gesundheitsfonds, aus dem die Kassen finanziert werden.

Das Ministerium erwägt dem Vernehmen nach eine einmalige Kürzung dieses Betrages um insgesamt zwei Milliarden Euro.

Andere Quellen berichten gar von einer Senkung um bis zu vier Milliarden Euro. Bahr kündigte dagegen seinen Widerstand an.

Der Arbeitnehmer finanziert seine Krankenversicherung mit 8,2 Prozent seines Einkommens ...

...0,9 Prozentpunkte davon sind eine Extra-Belastung. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordert, ...

... die Sonderbelastung zu streichen und so auf den gleichen Beitragssatz zu kommen, den auch Arbeitgeber einzahlen.

Auch die Arbeitgeber dringen auf eine Beitragssatzsenkung. Der allgemeine Beitragssatz, den...

... Arbeitgeber und Arbeitnehmer zahlen, sei mit 15,5 Prozent zu hoch angesetzt, kritisiert Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt.

Unterstützung bekommt er dabei aus der Union. Fraktionsvize Michael Fuchs (CDU) sieht die Überschüsse bei den Beitragszahlern...

... besser aufgehoben als in den Händen der Krankenkassen.

Die Kliniken wollen derweil die ihnen auferlegten Sparrunden angesichts der Überschüsse bei den Kassen nicht länger mittragen.

Die Krankenhäuser hätten mehr als eine Milliarde Euro abgezogen bekommen, um das Finanzpolster der GKV mitzufinanzieren, ...

... erklärt der Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Alfred Dänzer und zweifelt an der Verfassungsmäßigkeit...

... des Kürzungsgesetzes aus dem Jahr 2009. (dapd)

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