Berlin. Nach erbittertem Streit zwischen Kassen und Verbänden hat ein Schiedsgericht die künftigen Honorare für niedergelassene Mediziner festgelegt: Statt der geforderten Erhöhung um 3,5 Milliarden Euro bleibt es bei einer kleinen Anhebung. Krankenversicherungen hatten mit Blick auf zurückliegende Einkommenssprünge eine Absenkung gefordert.
Die rund 130.000 niedergelassenen Ärzte erhalten im nächsten Jahr 270 Millionen Euro mehr Honorar und damit nur einen Bruchteil der von ihnen geforderten Einkommenszuwächse. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) kündigte nach dem Beschluss am Donnerstag umgehend Protest an. Sie hatte ursprünglich ein Plus von 3,5 Milliarden Euro verlangt.
Die Festlegung über die Vergütung wurde vom sogenannten Erweiterten Bewertungsausschuss getroffen, dem neben Ärzte- und Kassenvertretern auch drei unparteiische Mitglieder angehören. Das Gremium unter Vorsitz des Gesundheitsökonomen Jürgen Wasem war einberufen worden, weil sich Ärzte und Kassen in dem monatelangen erbitterten Streit nicht hatten einigen können. Die KBV-Vertreter votierten gegen den Beschluss, wurden am Ende jedoch überstimmt.
1800 Euro mehr pro Arzt und Jahr
Nach Angaben des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) entspricht der Zuwachs einer durchschnittlichen Honorarerhöhung von 1800 Euro pro Mediziner im Jahr. Zu dem jetzt vereinbarten Plus kämen weitere Steigerungen aufgrund der wachsenden Menge an Behandlungen hinzu. Zudem könnten auf Landesebene Zuschläge ausgehandelt werden.
Bei den Verhandlungen ging es um den Preis je Punkt, den der Arzt für eine Leistung abrechnen darf. Seit 2009 liegt er unverändert bei 3,5 Cent, jetzt soll der Orientierungswert auf etwa 3,54 Cent heraufgesetzt werden.
Nun drohen Protestaktionen der Ärzte
KBV-Chef Andreas Köhler zeigte sich erzürnt: "Eine Erhöhung des Orientierungswertes um niedrige 0,9 Prozent ist mit uns nicht zu machen." Seit 2008 hätten die niedergelassenen Ärzte keinen Inflationsausgleich und keinen Ausgleich für gestiegene Praxiskosten erhalten. Deshalb hätten sie eine Steigerung um elf Prozent gefordert. Für die Vertragsärzte und Psychotherapeuten gehe der Tag mit einem fatalen Ergebnis zu Ende. "Wer solche Signale aussendet, braucht sich nicht zu wundern, wenn der medizinische Nachwuchs ausbleibt und keine Nachfolger für Landarztpraxen zu finden sind."
Köhler kündigte an, gemeinsam mit den Verbänden und allen teilnehmenden Ärzten werde am Samstag bei einer Sonder-Vertreterversammlung ein "deutlich wahrnehmbares Zeichen" zu setzen, was man von der Entscheidung halte. Ein KBV-Sprecher schloss nicht aus, dass freie Ärzteverbände zu Protestaktionen aufrufen werden, was die KBV als Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht darf. Er schloss zugleich nicht aus, dass die KBV vor Sozialgerichten klagen wird.
Kassen verweisen auf riesige Honorarsprünge
Der Vizechef des GKV-Spitzenverbands, Johann-Magnus von Stackelberg, sprach hingegen von einer vernünftigen Lösung, die den Interessen beider Seiten entgegenkomme. Er verwies darauf, dass auch die Kassen ihr gefordertes Ergebnis nicht erzielen konnten. Sie hatten eigentlich für eine Kürzung des Honorars um 2,2 Milliarden Euro plädiert. "Für die Beitragszahler bleibt der große Kostenschub aus, den die Eins-zu-eins-Umsetzung der Ärzteforderungen bedeutet hätte", sagte Stackelberg.
Vor den Verhandlungen hatten die Krankenkassen ihre Forderung nach einer Senkung der Honorare mit einer Studie des Prognos-Institut untermauert. Demnach seien die Einnahmen der Ärzte seit 2008 deutlich stärker gestiegen als die Kosten der Praxen. So verzeichneten die Mediziner der Studie zufolge Mehreinnahmen in Höhe von 3,2 Milliarden Euro, denen Ausgaben für zusätzliche Leistungen sowie insgesamt höhere Kosten gegenüberstehen. Die Wissenschaftler rechneten zudem höhere Auslastungen und den organisatorischen Fortschritt ein. Unter dem Strich stehe aber immer noch eine "Überzahlung" der Ärzte in Höhe von fast 2,2 Milliarden Euro, betonte die GKV.
Die Standpunkte bei den Kassenreserven
Dem Gutachten zufolge hat sich der durchschnittliche Überschuss je Arzt allein aus der Versorgung von gesetzlich Versicherten von 105.000 Euro im Jahr 2007 um 29 Prozent auf 134.000 Euro im Jahr 2011 erhöht. Nehme man die Einnahmen durch privat Versicherte hinzu, liege der Reinertrag je Arzt sogar bei 165.000 Euro.t. (rtr)