Damaskus/Kairo. . Wo ist der syrische Präsident? Das Staatsfernsehen zeigte Baschar al Assad bei der Vereidigung des neuen Verteidigungsministers. Ob der Despot deswegen noch in Damaskus ist, beweisen die Bilder jedoch nicht. Eine UN-Resolution zu Syrien scheiterte derweil erneut am Veto Russlands und Chinas.
Den ganzen Tag herrschte Rätselraten um Präsident Bashar al-Assad. Ein westlicher Diplomat wollte erfahren haben, dass sich der syrische Diktator nach Latakia abgesetzt hat, um von dort aus den Kampf gegen die Aufständischen zu dirigieren. Rebellen berichteten, die Präsidentenmaschine sei am Donnerstag früh von Damaskus aus in die Hafenstadt am Mittelmeer geflogen, in deren Umkreis sich die meisten alawitischen Dörfer befinden, aus denen die Assad-Sippe stammt.
Erst am Abend gab es dann einen ersten Hinweis aus dem Präsidentenpalast. Assad befinde sich in Damaskus und lenke die Geschicke des Landes, hieß es aus seiner Umgebung. Wie zum Beweis zeigte das syrische Staatsfernsehen kurz darauf Bilder des Diktators in grauem Jackett und blauer Krawatte, wie er den frisch ernannten Verteidigungsminister Fahd al-Freij vereidigte. Die Aufnahmen stammten wahrscheinlich vom Mittwoch, wenige Stunden nachdem eine Bombe seinen Schwager Assef Shawqat sowie Verteidigungsminister Daoud Rajha in den Tod gerissen hatte.
UN-Resolution gescheitert
Und so blühen die Spekulationen weiter, das Misstrauen in Kreisen des Regimes grassiert, während die im Syrischen Nationalrat zusammengeschlossene Opposition am Donnerstag den Anfang vom Ende des Assad-Regimes ausrief. Denn ein solches Attentat, was das Regime im Mark getroffen hat, ist nur möglich, wenn es Mitverschwörer bis in die höchsten Ränge der Sicherheitskräfte gibt. Über 20 Generäle haben sich inzwischen in die Türkei abgesetzt, mit ihnen nahezu 200 höhere Offiziere. Die desertierten Mannschaften gehen in die tausende – und das bei einer Gesamtstärke der Armee von etwa 300.000 Soldaten. Zu Einberufungsterminen jedoch erscheint nur noch ein Bruchteil der Wehrpflichtigen, viele Einheiten der „Freien Syrischen Armee“ rekrutieren sich inzwischen ausschließlich aus Fahnenflüchtigen.
Auffällig war auch die präzise Reaktion des staatlichen syrischen Fernsehens. Es gab keinen Versuch, die schlechten Nachrichten geheim zu halten, den Anschlag zu vertuschen oder die Namen der Getöteten zu verschweigen. Die Informationen am Mittwochmittag waren rasch und korrekt – wenn auch eingenebelt in die übliche Verschwörungs- und „Terroristen“-Rhetorik. Auch das könnte dafür sprechen, dass Teile der Führungsspitze das Volk auf einen Putsch aus den eigenen Reihen vorbereiten wollen.
Offensive in Damaskus
In Damaskus gingen die Regimetruppen unterdessen am Donnerstag in die Offensive, Kampfhubschrauber operierten über zahlreichen Wohnvierteln. Soldaten und Shabiha-Milizen durchkämmten die Straßen und lieferten sich Feuergefechte mit den Rebellen. Andere Stadtviertel wurden von der Armee komplett abgeriegelt sowie Scharfschützen auf den Dächern postiert. Man wolle die syrische Hauptstadt vor Beginn des Ramadan von allen „terroristischen Elementen“ säubern, erklärte die Armeeführung. „Alle Verräter, Agenten und Söldner machen sich was vor, wenn sie glauben, Syrien werde nach diesem Schlag in die Knie gehen”, trompetete die Zeitung „Al-Baath“.
General Robert Mood, der norwegische Chef der 300 UN-Blauhelme vor Ort, kommentierte dürr, Syrien sei „nicht auf dem Weg zu Frieden“. Nach seinen Worten könnten die Beobachter, die wegen der eskalierenden Gewalt schon seit Wochen keine Patrouillenfahrten mehr machen, erst dann wieder nützlich werden, „wenn ein politischer Prozess in Gang kommt“ – also das Baath-Regime mit der Opposition über einen Transfer der Macht verhandelt. Im UN-Sicherheitsrat scheiterte jedoch am Abend zum dritten Mal seit dem Beginn des Volksaufstands im März 2011 eine Syrien-Resolution am Veto von Russland und China.
Macht mit Hilfe seiner Clique ausgebaut
Westliche Staaten hatten in dem Textentwurf dem Regime in Damaskus mit Sanktionen gedroht, falls es seine schweren Waffen nicht aus den Wohnvierteln abzieht. Die USA, Großbritannien und Frankreich reagierten mit scharfer Kritik an dem Verhalten von Moskau und Peking und kündigten an, sie würden nun außerhalb des Sicherheitsrates den Druck auf das Assad-Regime verstärken. Unklar blieb zunächst, ob das Weltgremium in einem zweiten Anlauf bis Freitag um Mitternacht, wenn die Frist des Vorgängermandats abläuft, die Blauhelmmission in Syrien verlängern wird.
Seit seiner Machtübernahme im Juli 2000 hat sich Syriens Präsident Assad Zug um Zug mit Leuten seines Vertrauens umgeben, die entweder aus seiner Familie oder aus seiner Religionsgemeinschaft, den schiitischen Alawiten, stammen. Diese kleine Clique versorgt den Diktator mit Informationen, zeichnet ihm das Bild von der Lage im Land. Den eigentlichen Kampf aber führen die Eliteeinheiten, deren Stärke westliche Militärfachleute auf 50.000 bis 100.000 Mann schätzen. Die Republikanischen Garden und die Vierte Division werden von Assads Brüder Maher kommandiert, der nach dem Attentat nun zur wichtigsten Figur in der Machthierarchie aufsteigen dürfte. Ihm galt möglicherweise am Mittwoch ebenfalls ein Bombenanschlag. Zeugen sprachen von vier schweren Explosionen, die sich nahe der Kommandozentrale der Vierten Division ereignet hätten. In den ersten Wochen des Volksaufstands war der 44-Jährige auf einem Video zu sehen, als er von einer Polizeisperre aus eigenhändig mit einem Gewehr auf Demonstranten schoss.
Bezug zur Realität offenbar verloren
Schwager Assef Shawkat war die rechte Hand des Präsidenten, bisher sein engster Vertrauter, der nicht zu ersetzen ist. Er stammte aus einer alawitischen Familie in Tartus, studierte Jura und promovierte in Geschichte. Der 62-Jährige ist seit 1995 mit Assads Schwester Bushra verheiratet, die am Donnerstag zusammen mit Assads Mutter an der Beerdigung in Tartus teilnahm. Total abhängig von den gefilterten Informationen seines engsten Zirkels scheint der Despot inzwischen den Kontakt zur Realität verloren zu haben. So zog er kürzlich in einem Interview einen Vergleich zwischen dem Bürgerkrieg in seinem Land und einer medizinischen Operation. „Wenn ein Chirurg jemanden operiert und dessen Wunden behandelt - sagen wir dann zu ihm, du hast Blut an den Händen? Oder danken wir ihm nicht dafür, dass er den Patienten gerettet hat?“