Reims. 50 Jahre nach der historischen Versöhnungsmesse mit Konrad Adenauer und Charles de Gaulle in der Kathedrale von Reims demonstrieren Merkel und Hollande nach außen Einigkeit. Aber die beiden sind keine echten Partner.
Angela Merkel wandelt souverän auf den Spuren des großen Konrad Adenauer. Als die Kanzlerin ihre Rede vor der imposanten Kathedrale Notre-Dame in Reims beendet hat, ruft sie enthusiastisch auf Französisch: „Vive l’amitié franco-allemande! - Es lebe die deutsch-französische Freundschaft.“
Ihren Gastgeber François Hollande umarmt sie so, wie sie es schon bei seinem Vorgänger Nicolas Sarkozy zu tun pflegte: mit einem herzlichen Wangenküsschen.
Dieser Juli-Sonntag in der Champagne – auf den Tag genau 50 Jahre nach der historischen Versöhnungsmesse mit Adenauer und Charles De Gaulle – liefert viele Bilder reich an Symbolik, die immer wieder die Innigkeit der Bande zwischen Paris und Berlin unterstreichen sollen. Hymnen erklingen, die deutsch-französische Brigade zieht auf, und drinnen, in der „Königin der französischen Kathedralen“, bieten deutsche und französische Künstler gemeinsam Bachs Johannespassion dar.
Begegnung auf Augenhöhe
Doch hinter dieser zur Schau getragenen Eintracht gibt es eine andere, eher ernüchternde Wahrheit: Zwischen Merkel und ihrem neuen Partner François Hollande scheint es immer noch erheblich zu haken.
Frankreichs neuer Präsident, seit zwei Monaten im Amt, strotzt vor Selbstbewusstsein. Ausgestattet mit einer absoluten linken Parlamentsmehrheit, gibt der Sozialist seiner deutschen Kollegin immer wieder zu verstehen, dass er ihr mindestens auf Augenhöhe entgegentritt. Die Zeiten, als sich Frankreich unter Sarkozy bereitwillig dem Berliner Spardogma unterordnete, sind vorbei.
Wo das eingeübte Gespann „Merkozy“ auf den engen Schulterschluss in der EU setzte, warnt Hollande vor einer Dominanz der beiden größten EU-Länder. Gewiss, vor der Kathedrale, betont auch Hollande: „Keine Kraft kann die deutsch-französische Freundschaft beeinträchtigen.“ Aber am Vorabend der Feierlichkeiten sagt er der Regionalzeitung „L’Union“ einen Satz, den die deutsche Seite mal wieder als Nadelstich empfindet: „Wir dürfen unsere Beziehungen nicht wie ein Direktorium verstehen, in dem Frankreich und Deutschland alleine für Europa entscheiden.“
Die neuen Partner sind im Süden
Hollande lässt Merkel immer wieder spüren, dass es mit ihm in der EU anders läuft. Er tut sich mit den Südländern, mit den Montis und Rajoys, zusammen, und er dringt unerbittlich auf die von Merkel ungewünschten Euro-Bonds. Intime Kenner der Pariser Politszene gehen davon aus, dass noch auf absehbare Zeit Sand im deutsch-französischen Getriebe sein wird.
Als Merkel und Hollande im benachbarten „Palais du Tau“ eine Ausstellung der De-Gaulle-Stiftung einweihen, werden sie mit einer beruhigenden Konstante der deutsch-französischen Freundschaft konfrontiert. Große Bildtafeln zeigen die Vorgängerpaare Adenauer – De Gaulle, Kohl – Mitterrand und Schröder – Chirac: Bei ihnen allen gab’s zu Beginn Unstimmigkeiten, die sich jedoch früher oder später legten.
Die geschundene Stadt
Adenauer und De Gaulle, beide gottesfürchtige Katholiken, beide Visionäre, legten in der Versöhnungsmesse von Reims am 8. Juli 1962 den Grundstein zu diesem historisch einmaligen Friedensprojekt. In der Stadt, die die deutsche Armee im Ersten Weltkrieg größtenteils in Schutt und Asche legte. Selbst vor der 800 Jahre alten Kathedrale, der majestätischen Krönungskirche fast aller französischen Könige, machte die deutsche Zerstörungswut nicht halt.
Seitdem nennen die Franzosen das geschundene Reims „ville martyre“, die Märtyrerstadt. Getroffen von Granaten und Fliegerbomben, brauchten sie fast 20 Jahre, um die Kathedrale zu restaurieren. Kaum war sie fertig, standen die Deutschen im Zweiten Weltkrieg schon wieder als Besatzer in Reims. Ein finsteres Kapitel, das erst mit der bedingungslosen Kapitulation, ebenfalls unterzeichnet in Reims, am 7. Mai 1945 enden sollte.
Unbekannte schänden Gräber
An diesem Wochenende überschattet eine provokative Tat das Jubiläum. Auf einem 40 Kilometer von Reims entfernten deutschen Soldatenfriedhof aus dem Ersten Weltkrieg haben Unbekannte am Samstag 51 Gräber geschändet. Holzkreuze warfen sie um, aus einigen entzündeten sie ein Lagerfeuer. Daneben lagen Bier- und Schnapsflaschen.