Paris. In Frankreich statteten die Wähler die Sozialisten mit der absoluten Mehrheit in der Nationalversammlung aus und stellten sich damit hinter die Wachstumspolitik ihres neuen Präsidenten François Hollande. Mit dieser Politik war Hollande auf Konfrontation zu Bundeskanzlerin Angela Merkel gegangen.
Nach der Parlamentswahl in Frankreich sind die Sozialisten mit einer nahezu historischen Machtfülle ausgestattet. Neben dem Präsidentenamt eroberten sie am Sonntag die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung. Damit stärkten die Wähler ihrem neuen Präsidenten François Hollande klar den Rücken für seine Wachstumspolitik und seinen Widerstand gegen einen strikten Sparkurs.
Das offizielle Endergebnis stand in der Nacht zum Montag noch aus. Hochrechnungen sahen die Sozialisten aber bei rund 315 Sitzen; die absolute Mehrheit liegt bei 289 Sitzen. Für die Konservativen sahen die Institute nur gut 210 Sitze voraus. Das ist eine Umkehrung der bisherigen Machtverhältnisse. Damit könnten die Sozialisten auch ohne ihre Koalitionspartner von den Grünen regieren, die bei 20 Sitzen liegen. Die Rechtsradikalen der Front National kommen vermutlich auf zwei Sitze.
Die Sozialisten verfügen nun über das Präsidentenamt, über die Mehrheit in der Nationalversammlung, im Senat und in den Regionen. Niemals zuvor hatten sie eine derartige Machtfülle in der 5. Republik seit 1958.
"Europa auf Wachstum orientieren"
Der sozialistische Premierminister Jean-Marc Ayrault verlangte noch am Abend, "Europa in Richtung auf Wachstum zu orientieren". Ziel seiner Regierung sei es auch, die Eurozone vor der Spekulation zu schützen. Es gehe um die Sanierung der öffentlichen Haushalte, mehr Wachstum, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und die Belebung der französischen Industrie. Gleichzeitig sicherte er zu, dass die Rechte der Opposition respektiert würden, auch wenn die Sozialisten nun soviel Macht hätten.
Parteichefin Martine Aubry bedankte sich im Fernsehsender France 2 für "das Vertrauen, das uns ehrt und uns viel Verantwortung auflegt". Der sozialistische Außenminister Laurent Fabius wertete das Votum als eine Bestätigung des politischen Wechsels durch den Präsidenten: "Die Franzosen wollten eine linke Mehrheit und eine linke Politik."
Allerdings wurde in La Rochelle die frühere Präsidentschaftskandidatin der Sozialisten, Ségolène Royal, von dem abtrünnigen Sozialisten Olivier Falorni mit 37 zu 63 Prozent klar geschlagen. Sie sprach von "politischem Verrat". Das Duell hatte großes Aufsehen ausgelöst, denn die Partnerin Hollandes, Valérie Trierweiler, hatte sich in einer Twitter-Nachricht für Falorni ausgesprochen und damit gegen Hollandes frühere Lebensgefährtin Royal.
In Hénin-Beaumont bei Lille wurde die Rechtsradikale Marine Le Pen mit 49,89 Prozent von ihrem sozialistischen Gegner Philipp Kemel mit 50,11 Prozent geschlagen. Der Abstand betrug nur 130 Stimmen. Dagegen wurde Le Pens 22-jährige Nichte Marion Maréchal Le Pen in Carpentras bei Avignon mit 42,1 Prozent gewählt. Sie ist die Enkelin des Parteigründers Jean-Marie Le Pen. Auch der Anwalt Gilbert Collard zieht für die FN in die Nationalversammlung ein. Die Wahlbeteiligung lag bei schätzungsweise 56 Prozent.
Hollande für Finanztransaktionssteuer
Hollande will einem Zeitungsbericht zufolge 120 Milliarden Euro ausgeben, um das Wachstum in Europa anzukurbeln. Das Geld solle in Investitionen für "intelligente Netze" gesteckt werden, in erneuerbare Energien, in die Nanotechnik und in die Biotechnik, schrieb die Pariser Sonntagszeitung "Le Journal du Dimanche".
Vorgesehen sei auch eine Finanztransaktionssteuer. Finanziert werden solle der Plan durch ungenutzte Hilfsfonds der EU und eine Kapitalerhöhung der Europäischen Investitionsbank. Einen entsprechenden Plan habe Hollande an die Partnerregierungen geschickt zur Vorbereitung auf den EU-Gipfel am 28. und 29. Juni.
42 Millionen Franzosen wahlberechtigt
In Frankreich gilt das Mehrheitswahlrecht in allen 577 Wahlkreisen. Eine Zweitstimme und damit einen Ausgleich über Listen der Parteien wie in Deutschland gibt es nicht.
Mehrere sozialistische Minister wurden gewählt, darunter der Wirtschafts- und Finanzminister Pierre Moscovici. Ayrault, der in Nantes im ersten Wahlgang gewählt wurde, hatte angekündigt, dass Minister und Staatssekretäre, die sich zur Wahl stellen, erfolgreich sein müssen. Ansonsten würden sie auch ihr Amt verlieren.
Geschlagen wurde der liberale Präsidentschaftskandidat François Bayrou. Er erhielt in seinem Wahlkreis, den er seit 1986 innehatte, nur 30,17 Prozent.
Gut 42 Millionen Franzosen entschieden über die restlichen 541 Sitze in der Nationalversammlung. Beim ersten Wahlgang vor einer Woche hatten 36 Abgeordnete ihren Wahlkreis schon mit absoluter Mehrheit erobert. (dapd)