Berlin. . Angela Merkel hat das Kernstück ihrer Europapolitik durchgesetzt. Der Bundestag stimmte mit breiter Mehrheit dem Fiskalpakt und dem Euro-Rettungsschirm ESM zu. Doch so glorreich gelang der Auftritt der Kanzlerin vor dem Parlament nicht. Merkel musste ihre Zugeständnisse beim Euro-Gipfel schönreden.

Das ist kein leichter Auftritt für Angela Merkel. Am Mittwoch noch hat sie an diesem Pult die eiserne Kanzlerin gegeben, eine harte Linie in Brüssel angekündigt - nun kommt sie mit einer krachenden Niederlage heim, pünktlich zur Abstimmung über ihr Prestigeprojekt Fiskalpakt.

Aber Merkel will von Niederlage nichts wissen. Sichtbar erschöpft, aber selbstgewiss spricht Merkel in ihrer erneuten, knappen Regierungserklärung von „Missverständnissen“ über die Brüsseler Entscheidungen und von „vernünftigen Beschlüssen“. Es gehe darum, das Instrumentarium der Krisenbewältigung zu erweitern. Der Beifall der Koalition ist verhalten.

Dann geht SPD-Chef Sigmar Gabriel auf die Kanzlerin los. Er lobt zwar, dass Merkel sich in Brüssel in die richtige Richtung bewegt habe, beklagt aber: „Sie haben bei den Bankenhilfen in Brüssel genau das Gegenteil von dem vereinbart, was hier beschlossen werden soll.“ Und: Merkels Krisenmanagement sei „gescheitert“, jetzt versuche sie die „Wende in letzter Minute“.

Denn ausgerechnet die Regeln für den 700-Milliarden-Euro Rettungsfonds ESM, den der Bundestag zusammen mit dem Fiskalpakt am Abend mit breiter Mehrheit beschließt, werden mit den Gipfel-Beschlüssen aufgeweicht. Für viele Parlamentarier stellt sich die Frage: Ist das noch der ESM, der zur Abstimmung steht - oder wird die historische Entscheidung zur Farce, der Vertrag zur Makulatur?

Aufgewühlte Stimmung nach Gipfel

Die Stimmung ist aufgewühlt, über Stunden ist nicht klar, ob die Entscheidung verschoben werden muss: Unionspolitiker sind so irritiert wie die Opposition, die Koalitionsspitzen beraten sich wiederholt, der Haushaltsausschuss kommt kurzfristig zur Sondersitzung zusammen. In der FDP wird die Forderung nach einer Vertagung laut - die Linke beantragt sie schließlich, vergeblich. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) besucht vorsorglich alle Fraktionen, versichert, dass der vorliegende ESM-Vertrag erstmal gilt, bis der Bundestag später erneut über Änderungen entscheidet.

Bald ist klar: Die Zwei-Drittel-Mehrheit für die beiden Verträge ist nicht in Gefahr, doch vor allem bei Union und FDP grummelt es. Kritiker und Skeptiker fühlen sich bestätigt: Überraschend soll es nach den Brüsseler Beschlüssen Hilfen nicht nur für Staaten, sondern auch direkt an notleidende Banken geben - das war zuvor ausdrücklich ausgeschlossen worden. Und Staaten wie Italien sollen Geld auch ohne harte Sparauflagen bekommen.

Merkel versichert, im Gegenzug für die Bankenhilfe werde eine scharfe Kontrolle durch eine neue Banken-Aufsichtsbehörde geschaffen; erst Ende des Jahres werde es dazu einen Vorschlag geben, es gebe also keine Eile. Und: Über die Änderungen, die Brüssel beschlossen hat, werde der Bundestag eigens noch einmal abstimmen, vorerst bleibe es beim bereits ausgehandelten Vertrag. Was der Bundestag aber aktuell zu beschließen habe, sei ein „Signal an Europa“, lobt Merkel und spricht von einem „wichtigen Integrationsschritt“.

Opposition feiert Niederlage der Kanzlerin

Die Abgeordneten akzeptieren, viele zähneknirschend. Von einem „Dammbruch zulasten des Steuerzahlers“ spricht FDP-Eurorebell Frank Schäffler. Das sei „ein großer Schritt in Richtung Vergemeinschaftung der Schulden“, sagt der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach zum Gipfel-Beschluss.

Die Opposition dagegen ist zwar anfangs höchst irritiert, verlangt Aufklärung, aber später sind zumindest SPD und Grüne doppelt zufrieden: Merkel habe beim EU-Rat eine Niederlage erlitten, inhaltlich seien die Beschlüsse aber richtig. „Ein schönes Ergebnis“, sagt Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin. „Aber Frau Merkel hat schon wieder eine rote Linie aufgeben müssen, wir haben sie gewarnt.“

Gabriel meint, die Brüsseler Beschlüsse seien überfällig gewesen, die Haftung Deutschlands in Milliardenhöhe sei im deutschen Interesse. Merkel aber, sagt Gabriel, habe die Krise bislang noch verschärft, ihr „Spardiktat“ sei krachend gescheitert. Doch die Kanzlerin bleibt gelassen an diesem Abend. Schon vor der Abstimmung hat sie SPD und Grünen für ihre Unterstützung gedankt, das „Signal der Geschlossenheit“ gelobt. Nur die Linke schert aus, sie geißelt die Verträge als „kalten Putsch gegen das Grundgesetz“ und reicht noch am Abend Verfassungsklage gegen ESM und Fiskalpakt ein.