Hagen. Um den Euro zu retten, werde Deutschland wohl auf einen Teil seines Wohlstandes verzichten müssen, sagt der Hagener Wirtschaftsprofessor Dr. Helmut Wagner. Ein ebenfalls „extrem teurer“ Ausstieg aus der Währungsunion sei aber schon aus politischen Gründen keine realistische Alternative.
Die Schuldenkrise in Europa gefährdet den Bestand des Euro. Und sie wird Deutschland teuer zu stehen kommen, fürchtet Wirtschaftsprofessor Helmut Wagner. Er kennt sich aus: Die Auswirkungen internationaler Währungs- und Finanzkrisen und präventives Krisenmanagement sind ein Schwerpunkt seines Lehrstuhls für Makroökonomik an der Hagener Fernuni. Wir sprachen mit ihm über die deutschen Optionen in der Krise und ihre möglichen Folgen.
Herr Professor Wagner, ist der Euro noch zu retten?
Prof. Dr. Helmut Wagner: Im Prinzip schon - fragt sich nur, zu welchen Kosten. Und wer diese Kosten dann tragen muss. . .
Und?
Prof. Dr. Helmut Wagner: Die derzeit von den EU-Instanzen diskutierten Vorschläge und auch die auf dem Gipfel beschlossene Aufweichung der Vergabekriterien für den Rettungsschirm ESM laufen ja darauf hinaus, dass die Mehrheit der Euro-Staaten die Bundesregierung dazu drängt, eine gemeinschaftliche Haftung zu etablieren - sowohl für die Schulden der Mitgliedsstaaten als auch für die der europäischen Banken. Das hieße, dass Deutschland im Krisenfall extrem hohe Kosten zu schultern hätte. Und dass man dann auch in Deutschland auf einen Teil des Wohlstands wird verzichten müssen, um den Euro zu retten. Und es besteht die Gefahr, dass sich daraus bei immer neuen Krisen eine Abwärtsspirale im Wohlstandsniveau entwickelt.
Aber sind Eurobonds, eine gemeinsame Haftung für Staatsschulden, derzeit denn nicht die beste Option, um die nervösen Finanzmärkte zu beruhigen?
Prof. Dr. Helmut Wagner: Für die meisten anderen Euro-Staaten ist es schon die beste Option. Vor allem die bequemste. . .
Und für Deutschland?
Prof. Dr. Helmut Wagner: ...ist es eine brandgefährliche Option, darauf einzugehen. Es würde zwar bedeuten, dass man die Krise vorläufig und ziemlich kurzfristig in den Griff bekäme. Aber es hieße auch, dass sich die deutschen Zinslasten stark erhöhen würden, dass sich die Bonitätsbewertung deutscher Staatsanleihen erheblich verschlechtern würde - und dass der Reformeifer der anderen Staaten letztlich gelähmt werden könnte. Damit droht ein Szenario, dass sich die Krisenprozesse immer aufs Neue wiederholen - und wir immer wieder neu haften müssen.
Also ist die Strategie der Bundeskanzlerin richtig, die Einführung von Eurobonds kategorisch abzulehnen?
Prof. Dr. Helmut Wagner: Man muss zumindest damit drohen. Aber wenn man nun mehr allein und isoliert da steht, dann stellt sich irgendwann die grundlegende Frage, was man will. Man gerät sonst immer weiter ins Abseits.
Was also raten Sie zu tun?
Prof. Dr. Helmut Wagner: Wir sind in Europa in eine verfahrene Situation geraten. Vor zwei Jahren wäre die Krise mit ein bisschen Glück noch zu lösen gewesen. Man hätte Griechenland mit deutschem Geld retten können, aber man wollte es nicht - auch aus gutem Grund, um keinen Präzedenzfall zu schaffen. Es war das Ziel, ein Drohpotenzial aufzubauen. Das hat aber weder bei den anderen Staaten noch an den Märkten verfangen. Denn alle rechnen fest damit, dass Deutschland, wenn es hart auf hart kommt, doch haften wird. Da bleiben dann am Ende nur zwei Optionen: Selbst aus der Währungsunion austreten oder zahlen. Beides wäre für Deutschland extrem teuer und von den Auswirkungen her nicht klar überschaubar. Und beides kann in eine Katastrophe münden.
Was wären denn die absehbaren Folgen eines deutschen Euro-Austritts, einer Rückkehr zur D-Mark?
Prof. Dr. Helmut Wagner: Deutschland müsste eine hohe Aufwertung seiner Währung verkraften, der Export würde massiv einbrechen, was wiederum die Arbeitslosigkeit deutlich in die Höhe treiben würde. Die Folge wären Wohlstandsverluste über viele, sicher mindestens fünf, sechs Jahre. Aber es gäbe noch ein viel größeres Problem. Deutschland wäre politisch isoliert. Das große Ziel von zig Jahren Politik der europäischen Integration wäre zunichte gemacht. Das wäre ein Riesenverlust, der den ökonomischen wohl noch übersteigen würde. Und die anderen Länder wissen auch, dass wir diese politischen Kosten nicht tragen wollen.
Heißt?
Prof. Dr. Helmut Wagner: Man steckt in einer Sackgasse, aus der man nicht mehr richtig herauskommt. Jeder Ausweg ist sehr teuer, einen kostengünstigen gibt es nicht mehr. Es sei denn, es gelingt doch noch - über das Angebot gezielter und konditionierter Wirtschaftshilfen zur Wachstumssteigerung - einen intelligenten Anreizmechanismus zu finden, damit die Südländer aus Eigeninteresse zu kontrollierten Strukturreformen bereit sind. Aber solange alle Selbstverpflichtungen und Verträge nur auf dem Papier stehen, bei den Krisenländern in der Praxis aber ins Leere laufen, solange bringen Fiskalpakt und Schuldenbremse nicht viel.
Wagen wir mal einen Blick in die Zukunft: Was glauben Sie, haben wir den Euro in fünf Jahren noch oder nicht?
Prof. Dr. Helmut Wagner: Das ist schwer vorauszusehen und hängt auch entscheidend von den politischen Konstellationen ab. Ich glaube, schon aus rein politischen Gründen wird sich Deutschland nicht trauen, den Euro aufzugeben.