Brüssel. Der EU-Gipfel in Brüssel ging mit einem Erfolg für Bundeskanzlerin Merkel zu Ende: Die Krisenländer Italien und Spanien stimmen dem Wachstumspakt zu. Der Pakt fordert die Krisenländer zu mehr Reformanstrengungen auf. Die Zustimmung Italiens und Spaniens ist allerdings teuer erkauft.

Es war Rettung in letzter Minute. Als Kanzlerin Angela Merkel am frühen Freitagmorgen erschöpft das Ratsgebäude in Brüssel verließ, hatte sie es einmal mehr geschafft. Die Krisenländer Italien und Spanien waren besänftigt, einer Zustimmung zum Wachstumspakt stand nichts mehr im Wege und damit konnte die Regierungschefin unbesorgt zur Bundestagsabstimmung nach Berlin reisen. Grüne und SPD hatten keinen Grund, ihr die Gefolgschaft bei ESM und Fiskalpakt zu verweigern. Der Deal jedoch ist für Merkel teuer erkauft.

Es war ein Schaustück diplomatischer Winkelzüge, was da in der Nacht im Brüsseler Ratsgebäude ablief. Merkel musste mit den Euroländern hart kämpfen, um die Zustimmung zum "Pakt für Wachstum und Beschäftigung" zu erhalten, um damit wiederum die Zweidrittelmehrheit im Bundestag für den Fiskalpakt sicherzustellen, mit dem sie dann in Brüssel auftrumpfen will nach dem Motto: Seht her, Deutschland steht zu seinen Verpflichtungen.

Beobachter sprachen von "Erpressung"

Italien und Spanien hatten Druck gemacht und im Bewusstsein der Merkel'schen Baustelle in Berlin mit hohem Einsatz gespielt. Das Wort "Erpressung" machte im Pressezentrum die Runde, der französische Staatspräsident François Hollande wurde danach gefragt und meinte nur lapidar: "Ich bin mir nicht sicher, ob Erpressung das richtige Wort dafür ist."

In deutschen Regierungskreisen wurde der Eindruck einer nächtlichen Krisensitzung zurückgewiesen. Ein ranghoher Diplomat sprach von "umfassenden, aber konstruktiven Gesprächen."

Mehrfach hatte Merkel in der Vergangenheit gemahnt, Deutschlands Kraft sei nicht unendlich und damit die Finanzkraft gemeint. Nach dieser Brüsseler Nacht hat ihr Ausspruch noch eine andere Bedeutung bekommen: Deutschlands Kraft ist nicht so groß, dass es sich dauerhaft gegen die geballten Begehrlichkeiten anderer Eurostaaten wehren kann.

Staatenlenker wie der Brite David Cameron oder François Hollande werden es mit Interesse verfolgt haben, dass die "eiserne Lady" Merkel schwache Stellen, dass ihre Kraft Grenzen hat. Vielleicht hat die Kanzlerin aber auch einfach nur gemerkt, dass es ganz angenehm sein kann, nicht immer vorneweg marschieren zu müssen.

Kleine Punktsiege für Merkel

Merkel ging indes nicht als komplette Verliererin vom Feld. Sie konnte durchsetzen, dass Rom Hilfsgelder im Notfall nicht einfach so bekommt. Absichtserklärungen müssen vereinbart werden, die EU hat ein gewichtiges Wort mitzureden. Italien wollte das so nicht haben, Merkel musste es erst durchsetzen. Der Bundestag ist beim ESM mit umfassenden Beteiligungsrechten ausgestattet, seine Zustimmung muss bei allen wichtigen Schritten eingeholt werden und das "Ja" des Parlaments würde Merkel nicht bekommen, flösse deutsches Steuergeld unkontrolliert in italienische Kassen.

Ein weiterer Pluspunkt für die deutsche Regierungschefin sind die Schritte hin zu mehr Bankenaufsicht. Eine europäische Aufsicht mit übernationaler Kontrolle und Durchgriffsrechten hatte Berlin vor dem Gipfel gefordert. Jetzt soll die Aufsicht bei der EZB angesiedelt werden und schnell gehen soll es auch, möglicherweise liegt ein Vorschlag der Kommission in den nächsten Wochen bereits vor.

Angst vor der Troika in den Amtsstuben Roms

Die Märkte reagierten auf die Einigung der Euro-Länder zunächst einmal mit Jubel, viele Börsen drehten ins Plus. Bleibt die Frage, ob diese Hochstimmung anhält. Die Instrumente der Euro-Rettung, wie sie in den vergangenen Wochen und Monaten festgeklopft wurden, bleiben erhalten. Insofern sei die Bundesregierung ihrer bisherigen Linie treu geblieben, sagte Merkel: keine Leistung ohne Gegenleistung und "keine Haftung ohne Kontrolle".

Die CDU-Vorsitzende wies zudem darauf hin, dass spar- und reformwillige Länder wie Spanien und Italien zwar erleichterten Zugriff auf den Euro-Rettungsschirm bekämen - sich hierfür aber in einem Abkommen dazu verpflichten müssten, die jährlichen Hausaufgaben der EU-Kommission zu erfüllen und ihre Defizite abzubauen.

Genau da aber braut sich das nächste Euro-Gewitter zusammen. Italiens Regierungschef Mario Monti frohlockte, mit den Auflagen würden "nur die Verpflichtungen bekräftigt, die das Land schon eine Weile erfüllt". Es handele sich keineswegs um ein "Programm wie für Griechenland, Irland oder Portugal."

Bilder wie in Athen scheut Monti wie der Teufel das Weihwasser. Dass da fremde Kontrolleure durch die Amtsstuben der stolzen Italiener schleichen und den Römern vorschreiben, wie teuer ihre Medikamente oder Busfahrkarten sein müssen. Wenn die Italiener entmutigt würden, könnte das "politische Kräfte" freisetzen, die die europäische Integration und den Euro "zur Hölle fahren lassen", hatte Monti gewarnt.

Italien will keine Hilfen - noch nicht

Noch will Italien keine Rettungsmaßnahmen in Anspruch nehmen. Sollte es dazu kommen, wird es heiß in Italien und der Anheizer heißt Troika. Merkel erklärte, dass dieses Dreiergespann aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) auch im Falle von Italien und Spanien zum Einsatz komme. Natürlich werde die Troika auch nach Rom reisen, wurde in deutschen Delegationskreisen bestätigt.

Aus Kommissionskreisen hieß es dazu, das Troika-Thema sei noch nicht klar entschieden. Die Kommission wäre dafür, zumal es seit dem Herbst regelmäßig eine IWF-Kontrolle in Italien gibt. Der frühere Ministerpräsident Silvio Berlusconi hatte dem selbst zugestimmt.

Merkel hat schon bald Gelegenheit, der Sache auf den Grund zu gehen. Kommenden Mittwoch reist sie zu deutsch-italienischen Konsultationen nach Rom. Vielleicht bleibt es bis dahin ja mal friedlich in Euro-Land. (dapd)