Essen. . Beim EU-Gipfel in Brüssel war Bundeskanzlerin Angela Merkel gezwungen, wichtige Positionen zu räumen. Damit ist sie in der Realität angekommen. Eine Analyse.
Italien lässt die Muskeln spielen – und Deutschland knickt ein. War der Euro-Gipfel von Brüssel ein Abbild des EM-Halbfinales von Warschau? Richtig ist: Angela Merkel hat in der dramatischen Gipfel-Nacht von Brüssel einige Positionen räumen müssen, die die Kanzlerin bis dato als nicht verhandelbar zementiert hatte. Ein Überblick.
Direkte Hilfe für Banken
Nach dem Gipfel-Kompromiss erhalten Banken erstmals einen direkten Zugriff auf den milliardenschweren Euro-Rettungsfonds. Es entfällt die Pflicht, das Geld über den Staat laufen zu lassen, der es an die Banken weiterreicht. Während Berlin dies bislang stets abgelehnt hatte, drängten Italien und Spanien darauf. Ihre Hoffnung: Die Staatshaushalte werden entlastet, die Zinsen für neue Kredite sinken.
Diese Botschaft an die Finanzmärkte wurde gehört: Denn tatsächlich sorgte schon der gestrige Grundsatzbeschluss, dessen Details erst geklärt werden müssen, dafür, dass die Renditen für spanische und italienische Anleihen merklich sanken. Sie lagen nun bei 6,47 bzw. 5,88 Prozent. Zum Vergleich: Die Rendite für deutsche Anleihen stieg im Gegenzug leicht an, lag aber mit 1,62 Prozent weit niedriger.
Trotzdem: Diese leichte Verschiebung könnte ein Anzeichen für einen Trend sein, den Kritiker des Beschlusses fürchten: die schleichende Vergemeinschaftung von Schulden in der Eurozone durch die Hintertür. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass Banken zusätzlich zu riskanten Geschäften verleitet werden könnten – denn im Zweifelsfall hilft ihnen ja der Rettungsfonds.
Auflagen gelockert
Auch beim Feilschen um Hilfen für hoch verschuldete Staaten war Italiens Premier Mario Monti Merkels stärkster Gegenspieler. Bislang hatte er vor dem Griff in den Rettungsfonds zurückgeschreckt – aus Angst vor strengen Auflagen der EU. Die Regierung in Rom unter der Knute Brüssels, ähnlich wie die Griechen – das hätte Monti zu Hause den Job gekostet. Nun boxte der Italiener gegen Merkels Widerstand Erleichterungen durch. Denn der Gipfel einigte sich darauf, spar- und reformwilligen Ländern Hilfe ohne ein zusätzliches Anpassungsprogramm zu gewähren. Die Regierung muss lediglich eine Vereinbarung unterzeichnen, dass sie die Vorgaben aus dem Stabilitäts- und Wachstumspakt sowie die Hausaufgaben der Kommission fristgerecht erfüllt.
Diese Maßnahme ist tatsächlich sinnvoll. Denn Finanzhilfen für Krisenländer sind zwecklos, wenn man das Geld über scharfe Sparmaßnahmen schnell zurückverlangt. Das zeigt das Beispiel Griechenland. Die betroffenen Staaten müssen die Chance haben, sich aus der Misere zu befreien. Entsprechende Reformen brauchen Zeit. Experten gehen eher von 20 als von zehn Jahren aus.
Wachstum ankurbeln
Die EU-Staaten haben ein Wachstumspaket in Höhe von 120 Milliarden Euro auf den Weg gebracht. Das Geld soll zur Ankurbelung der Konjunktur und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze verwendet werden. Dazu gehören neben einer Kapitalaufstockung um zehn Milliarden Euro für die Europäische Investitionsbank auch die Umwidmung ungenutzter Mittel aus den EU-Strukturfonds sowie Anleihen für grenzüberschreitende Infrastrukturprojekte. Der Haken: Es wird kaum frisches Geld bereitgestellt, sondern vor allem werden vorhandene Mittel neu deklariert.
Hängepartie beim Personal
Keine Einigung gab es in einer wichtigen Personalfrage. Weder über den Vorsitz der Eurogruppe, den derzeit der Luxemburger Jean-Claude Juncker inne hat, noch über die Führung des permanenten Euro-Rettungsschirms ESM wurde entschieden. Gut möglich, dass Juncker, der eigentlich den Job abgeben wollte, erst einmal weitermacht. Für den ESM-Vorsitz gilt der Deutsche Klaus Regling als Favorit. Mario Monti, so hieß es, sei jedenfalls einverstanden.