Berlin. . Immer mehr Arbeitnehmer klagen über zunehmende Arbeitsverdichtung. Fast jeder Vierte hat bereits innerlich gekündigt. Das belegen neue Studien. Gewerkschafter fordern nun ein Umdenken.

Die Ergebnisse lassen aufhorchen: Nach einer gestern vorgestellten Studie des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) klagen immer mehr Arbeitnehmer über eine zunehmende Arbeitsverdichtung. Stress, Hetze, Hektik: 52 Prozent der Beschäftigten geben mittlerweile an, dass sie sich „oft“ oder „sehr häufig“ gehetzt fühlen bei der Arbeit. „Je stärker die Arbeit intensiviert wird, desto mehr muss gehetzt werden“, stellt der DGB nach einer repräsentativen Umfrage unter 6083 Arbeitnehmern unterschiedlicher Branchen fest.

Besonders groß ist der (meist unproduktive) Stress demnach im Gastgewerbe, im Sozial- und Gesundheitswesen und auf dem Bau. Das bleibt nicht ohne Folgen. Psychische Krankheiten sind nach den Erhebungen der Krankenkassen auf dem Vormarsch und machen einen immer größeren Anteil an Fehltagen der Beschäftigten aus.

Fast jeder vierte Arbeitnehmer hat innerlich gekündigt und verrichtet nur noch Dienst nach Vorschrift, meldet Gallup. Die volkswirtschaftlichen Schäden beziffert das Beratungsunternehmen mit mehr als 100 Milliarden Euro im Jahr.

Ursache hierfür ist freilich nicht nur Stress, sondern auch eine mangelnde emotionale Bindung an das Unternehmen und Chefs mit mangelhaften Führungsqualitäten. Anerkennung und Lob, konstruktive Kritik – das alles scheint in deutschen Büros und Werkhallen eher die Ausnahme zu sein.

Die IG Metall nimmt die DGB-Studie jetzt zum Anlass für eine „umfassende Anti-Stress-Initiative“. „Wir brauchen einen Paradigmenwechsel hin zu einer Arbeitswelt, die nicht auf Verbrauch, sondern auf den Erhalt von Arbeitskraft ausgerichtet ist“, fordert Edeltraut Glänzer aus dem Vorstand der IG BCE. DGB-Vorstandsfrau Annelie Buntenbach mahnt zu Arbeitsbedingungen, „die weniger Stress produzieren“.

Gutes Betriebsklima, weniger Hektik, betriebliche Gesundheitsvorsorge: Ist es damit schon getan? Eher nicht. Stefan Bergheim, Direktor der gemeinnützigen Frankfurter Denkfabrik „Zentrum für gesellschaftlichen Fortschritt“ verweist auf jene Erscheinungen der modernen Arbeitswelt, die weniger direkt, mittelbar aber umso stärker auf die Zufriedenheit von Arbeitnehmern einwirken. „Mangelnde Zufriedenheit mit der Arbeit steht häufig in Verbindung mit einem hohen Maß an Verunsicherung hinsichtlich des eigenen gesellschaftlichen Status’“, so Bergheim im NRZ-Gespräch. „Die Debatten über Arbeitslosigkeit, das Auseinanderdriften der Gesellschaft, das Schrumpfen der Mittelschicht und prekäre Beschäftigungsformen sorgen für ein hohes Maß an Verunsicherung“, hat Bergheim festgestellt. Vereinfacht ausgedrückt: Solange atypische Beschäftigungsverhältnisse und schlechte Bezahlung einen großen Teil des deutschen Arbeitsmarktes prägen, wird sich auch keine echte Zufriedenheit bei den Arbeitnehmern mehr einstellen.

Das kann man auch die Kosten der Liberalisierung nennen, die die rot-grüne Bundesregierung 2003 mit der „Agenda 2010“ eingeleitet hat. „Mittlerweile zeigen sich allerorten die individuellen und gesellschaftlichen Kosten, die durch prekäre Beschäftigungsformen erzeugt werden“, sagt Bergheim.

Klagen allein hilft bekanntlich nicht weiter. Während bei der DGB-Studie die negativen Aspekte von Arbeit im Mittelpunkt stehen, hält der Forscher eine ergänzende Studie für hilfreich, „die die positiven Aspekte wie Sinn, Erfüllung, Herausforderung und Respekt bei der Arbeit in den Mittelpunkt stellt“. Schließlich ist es eine Binsenweisheit: „Arbeit ist einer der wichtigsten Faktoren für Zufriedenheit der Menschen“, sagt Bergheim.