Washington. Der Dienstag heißt für US-Präsident Barack Obama “Terror Tuesday“. Dienstags nämlich berät der Präsident mit Fachleuten aus Verteidigungsministerium, CIA und anderen Behörden darüber, welche Terrorverdächtigen per Drohnenangriff gezielt getötet werden. Über Leben und Tod entscheidet Obama persönlich.

Im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus entscheidet der amerikanische Präsident und Friedensnobelpreisträger Barack Obama persönlich über Leben und Tod.

Wie die „New York Times“ berichtet, genehmigt Obama jede gezielte Tötung von Terrorverdächtigen per Drohnenangriff im Jemen, in Somalia oder in Pakistan einzeln. Allein in diesem Jahr haben hier bereits 41 Einsätze mit unbemannten Flugkörpern stattgefunden. Die genaue Zahl der Toten ist nicht öffentlich bekannt.

Dem Auswahlprozess gehe ein bislang streng geheim gehaltenes Verfahren voraus, bei dem rund 100 Fachleute aus dem Verteidigungsministerium, dem Geheim-Dienst CIA und anderen Anti-Terror-Behörden jeweils dienstags („Terror Tuesday“) per Video-Konferenz Vorschläge machen, welche Zielperson es treffen soll. Mitunter dauere es „vier bis sechs Sitzungen“, bis ein Name definitiv auf die Todesliste komme.

Menschenrechts-Organisationen kritisieren die Drohnen-Strategie

In vielen Fällen, so haben die Autoren des Berichts recherchiert, lässt sich Obama anhand von Fotos, Lebensläufen und aktuellen Lagebeurteilungen über das Bedrohungspotenzial eines Terrorverdächtigen unterrichten, bevor er den Daumen senkt.

Nach den Worten seines Beraters in Fragen der nationalen Sicherheit, Tom Donilon, beansprucht Obama die Entscheidungsgewalt für sich, weil er sich „verantwortlich fühlt für die Haltung der Vereinigten Staaten in der Welt.“ Menschenrechts-Organisationen kritisieren die Drohnen-Strategie, die Obama im Februar erstmals offen eingestand, als "ungesetzlich" und "verabscheuungswürdig".

Selbst bei schwierigen Fällen, beschreibt die „New York Times“, plagten den Präsidenten erkennbar keine Gewissensbisse. 2009 teilte der damalige CIA-Chef Leon Panetta Obamas Anti-Terror-Berater John Brennan mit, dass der Geheimdienst Baitullah Mehsud, den Chef der pakistanischen Taliban ausfindig gemacht habe, die für etliche Angriffe aus US-Truppen in Afghanistan verantwortlich sind. Von einem Einsatz riet Panetta allerdings ab, weil nicht ausgeschlossen werden könne, dass bei einem Drohnenangriff Unbeteiligte sterben würden. Obama gab trotzdem grünes Licht. Mehsud starb, mit ihm seine Frau und weitere Familienmitglieder.

Kollateralschäden - wenn möglich - vermeiden

Im Fall des jemenitischen Top-Terroristen Anwar Al-Awlaki, der im vergangenen September aus der Luft weggebombt wurde, sei Obama die Entscheidung sogar „leicht gefallen“, erinnert sich sein früherer Stabschef Richard Daley. Neben Awlaki starb damals der amerikanische Staatsbürger Samir Khan. Er stand nicht auf der Todesliste, war lediglich mit Awlaki gereist.

Der erste Drohnenangriff unter Obamas Aufsicht ereignete sich am 17. Dezember 2009. Damals starben im Jemen neben den Zielpersonen mehrere unbeteiligte Nachbarfamilien. Obama erließ danach Kriterien, wonach Kollateralschäden so gut es eben geht zu vermeiden seien. Dies habe aus Regierungssicht bei den Drohnen-Angriffen in Pakistan zu einer „einstelligen Zahl“ von zivilen Opfern geführt. Tenor: nicht schön, aber letztlich nicht zu vermeiden. Eine Haltung, die laut „New York Times“ nicht der Wahrheit entspricht. Nach Lesart der Geheimdienste werde jeder Mann, der sich im näheren Umfeld eines Angriffsziels befindet, per se als feindlicher Kämpfer betrachtet. Die Zahl der Unschuldigen unter den Getöteten sei darum „um einiges höher zu veranschlagen“.

Innerhalb der US-Regierung war und ist die abseits aller juristischen Verfahren angesiedelte Drohnen-Strategie Obamas nicht unumstritten. „Sie spart Geld, vermeidet tote US-Soldaten, zahlt sich innenpolitisch aus und erweckt den Eindruck von Stärke“, zitiert die „New York Times“ den früheren Geheimdienst-Koordinator Dennis Blair, „welchen Schaden sie den nationalen Interessen zufügt, wird sich erst auf Sicht zeigen.“ Schon heute beobachteten Russland und China den Präzedenz-Fall, dass die Supermacht USA Drohnen über Ländergrenzen hinweg schickt, um Feinde zu töten, mit großer Aufmerksamkeit. Was, wenn sie es demnächst nachmachen?