Washington. .
Hatte er sich zuviel vorgenommen, sich selbst über- und Washingtons Beharrungskräfte unterschätzt? Diese Fragen werden gestellt, jetzt, wo Barack Obama, der erste schwarze US-Präsident, sich der Bilanz nach seinem ersten Jahr im Amt stellen muss.
Vom Hoffnungsträger zum Prügelknaben, der in den Umfragen daheim so tief gefallen ist wie kaum ein anderer Präsident vor ihm nach den ersten zwölf Monaten im Weißen Haus - dabei war das Hochjubeln Obamas zur internationalen Lichtgestalt, die geradezu messianischen Hoffnungen, die sich mit seiner Wahl verbanden, politisch genauso töricht wie die tausendfache Verdammnis, die nun auf ihn einprasselt.
Der Mann hat, wenn man sich vor Augen führt, welches Erbe er antrat, tatsächlich einen guten Job gemacht. Amerika war am Ende der achtjährigen Bush-Ära diskreditiert in der Welt, die US-Wirtschaft stand in Folge der Finanzkrise vor dem Kollaps, 700000 Menschen verloren Monat für Monat ihren Job. Fast 40 Millionen US-Bürger waren überdies noch ohne Krankenversicherung. Und das Land rieb sich in zwei schier endlosen Kriegen auf, die Amerika mehr und mehr zermürben. Solche Problemberge lassen sich nicht einfach weglächeln oder mit einem präsidialen Federstrich beseitigen. Zaubern kann auch Obama nicht.
Die Anstrengungen der letzten zwölf Monate, der Dauerstress haben in Obamas Gesicht längst Spuren hinterlassen. Die Haare sind ein Stück grauer, die Gesichtszüge schärfer, die Lippen ein Stück schmaler geworden. „Yes, we can” - der euphorische Schlachtruf aus der Wahlkampagne kommt ihm heute nur noch selten über die Lippen.
Das breite Lager seiner Unterstützer, die ihn ins Weiße Haus trugen und seine Amtseinführung am 20. Januar auf den Stufen des Kapitols enthusiastisch bejubelten, ist ohnehin längst wieder auseinander gefallen. Die Linken, die Bürgerbewegten sind enttäuscht, die Wähler aus der Mitte frustriert - und die Konservativen, die so vernichtend geschlagen wurden, sehen sich in all ihren düsteren Prophezeiungen bestätigt. Amerika bleibt gespalten.
Rassistische Untertöne
Und nicht selten finden sich auch rassistische Untertöne in der rabiat-brutalen Hetze, mit der eine - durchweg weiße - Minderheit über den ersten US-Präsidenten mit dunkler Hautfarbe herzieht. Ätzendere Angriffe als Barack Obama hat kaum je ein US-Präsident ertragen müssen.
Dabei hat sich das Land, bei aller Kritik, erstaunlich schnell an den neuen Herrn, die neue Erste Familie um Stil-Ikone Michelle und die beiden bezaubernden Mädchen im Weißen Haus gewöhnt. Bush ist praktisch schon vergessen. Obamas Dauer-Präsenz vor allem im Fernsehen, seine Kunst, es „menscheln” zu lassen, haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Mit seiner Politik des „big government” mögen zunehmend viele Amerikaner nicht einverstanden sein, als Person wiederum wird Obama nach wie vor geschätzt. Da gab es andere vor ihm, die schlimmere Laster hatten, als gelegentlich eine zu rauchen.
Dass die Obamas, zumal nach den texanisch-drögen Bushs, auch noch Glamour verbreiten, wird zumindest in den großen Städten der Ostküste gern gesehen. Dort lechzte man förmlich nach einer Neuauflage der Kennedys. Gewiss: Washingtons Politikbetrieb funktioniert auch unter Obama noch immer wie eh und je nach den alten Strickmustern.
Obamas Ansatz, die Parteigräben zu überwinden, trug nicht weit. Die Republikaner üben sich in Frontal-Opposition. Und selbst die eigenen Leute müssen gelegentlich mühsam eingefangen werden, um ihren Vormann nicht im Regen stehen zu lassen. Reichlich schnell hat Obama beim Kampf um seine Gesundheitsreform lernen müssen, dass gute Absichten allein wenig zählen, wenn Lobbygruppen im Hintergrund erfolgreich Front machen. Wie auf dem Basar geht es in der Finalrunde der Gesundheitsreform inzwischen zu.
Historischer Sprung bei Gesundheitsreform
Obama will, ja braucht ein Ergebnis um fast schon jeden Preis, das ihm neuen Rückenwind verschaffen soll. Viele Präsidenten vor ihm haben sich die Zähne an diesem sensiblen Thema ausgebissen. Er will der erste sein, der die finanzielle Schieflage und die gröbsten Ungerechtigkeiten im amerikanischen Gesundheitssystem endlich aufbricht. Und es wird ihm, ein historischer Sprung, tatsächlich gelingen, selbst wenn der Reform am Ende, zerrieben und zerbröselt, einige Kernpunkte fehlen werden, die Obama zu Beginn des Reformmarathons noch so wichtig waren.
Amerikas Präsident ist ein zielorientierter Pragmatiker, kein verbohrter Ideologe, freilich einer mit Grundsätzen. Das Folterverbot in CIA-Geheimgefängnissen gehörte mit zu seinen ersten Anweisungen. Dass er weniger hart gegen Terrorgruppen vorgeht, die Amerikas Sicherheit bedrohen, wird in konservativen Kreisen um Ex-Vizepräsident Dick Cheney zwar gern behauptet, zielt aber weit an der Wirklichkeit vorbei. Die einst so heiß umstrittenen Militärtribunale im Gefangenenlager Guantanamo, dessen Schließung in immer weitere Ferne rückt, sind weiter aktiv. Und weit mehr noch als Bush setzt Obama darauf, Al Kaidas Leute in den pakistanisch-afghanischen Bergen mit Drohnen und ferngesteuerten Raketen nachzusetzen.
Dass er sich überdies entschloss, die US-Truppen in Afghanistan gleich zwei Mal, zuletzt nach langem Grübeln sogar um gleich 30000 Mann zu verstärken, fand sogar den Beifall der Republikaner. Obama sucht die Entscheidung im Kampf gegen die Taliban, während im Irak der Rückzug läuft. Friedens-Nobelpreisträger und Kriegsherr in einer Person - dass Obama in Oslo bei der Verleihung des Nobelpreises mehr über den „gerechten Krieg” als über den ewigen Wunsch nach Frieden dozierte, hat ihm zu Hause, wo ihn mancher zuvor für ein Weichei hielt, neuen Respekt eingetragen. Amerika lässt sich nichts bieten - daheim wuchsen die Zweifel, ob Obama diese Linie tatsächlich so verinnerlicht hat wie andere Präsidenten vor ihm.
Dialogangebote werden ihm als Schwäche ausgelegt
Die außenpolitische Bilanz nach einem Jahr ist, gemessen an Obamas eigenen Ansprüchen, tatsächlich mager. Im Nahostkonflikt bleiben die Fronten weiter verhärtet, Iran bastelt weiter ungerührt an seinem Atomprogramm. Und auch Nordkorea gibt sich störrisch wie gewohnt. Der Bückling vor Japans Tenno fiel vielen zu tief aus. Und sein höflicher Ton gegenüber den Chinesen beim Staatsbesuch in Peking, Amerikas Hauptgläubiger, war vielen zu devot.
Obamas Reden vor den Foren der Welt, die Dialogangebote an die islamische Welt, die Visionen von einer Welt ohne Atomwaffen, wurden ihm daheim als Schwäche ausgelegt. Dabei treibt Obama nur die Einsicht um, dass sich die globalen Kräfte vor allem mit dem Aufstieg Chinas und Indiens zu neuen „Global Playern” verschieben. Amerika, der Sieger des Kalten Krieges, bekommt neue Konkurrenz.
Mehr noch als seine Vorgänger blickt Obama, Amerikas erster pazifischer Präsident, daher Richtung Asien. Europas Gewicht und Einfluss hingegen schwinden. Dabei steht und fällt Obamas politische Zukunft, die sich daheim entscheidet, mit dem Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und die galoppierende Staatsverschuldung. Den freien Fall der Wirtschaft hat Obamas Mannschaft bremsen können, freilich um den Preis einer Rekordverschuldung, die Amerika noch in Generationen abzutragen hat. „Kann Amerika Pleite gehen?”, fragt längst nicht mehr nur die Obama-loyale „Washington Post” besorgt.
Jeder zehnte erwerbsfähige Amerikaner ist inzwischen ohne Job. Solche Zahlen hat das Land zuletzt vor einem Vierteljahrhundert gekannt. Armut und Obdachlosigkeit wachsen im reichsten Land der Erde. Jobs, Jobs, Jobs - kein anderes Thema wird derart im Mittelpunkt in Obamas zweitem Amtsjahr stehen. Senatswahlen stehen überdies noch im November an. Und die Opposition wittert Morgenluft, mit den schlechten Zahlen vom Arbeitsmarkt Obamas demokratische Mehrheit in der 100-köpfigen Kammer zu kippen. Auch das nächste Amtsjahr wird für Obama kein Spaziergang.